Zitate von Peter Sloterdijk

Ist das Tao im Munde westlicher Autoren nicht ein Joker, den man ausspielt, wenn es darum geht, mehr zu versprechen, als zu halten sein wird? Ah, Taoismus! Zauberformel für schnelle Ganzheiten und für Geborgenheit aus der atomphysikalischen Retorte! Die rätselvolle Silbe Tao ist neuerlich in die Kitschzone geraten, und wer sich auch künftig zu ihrem hellen Zauber bekennen will, muß mit dem Verdacht leben, er wollte einstimmen in den Chor, der die neureligiösen Totalitätscouplets absingt. Doch hält es der Autor a priori für das Zentrum seiner Arbeit, sich für Verdächtigungen zur Verfügung zu stellen. Denn: die Philosophen haben die Interpretation der Welt durch andere Leute bisher nur verschieden verdächtigt, es kommt darauf an, sich auf sie einzulassen.

Eurotaoismus - um eine ernsthaftere Antwort anzudeuten - ist auch ein Titel für den Versuch, auf die Eigenart des geschichtemachenden Kontinents so dringlich aufmerksam zu machen, daß keine bloße äußere Kritik an ihm mehr plausibel werden kann. Selbst wenn wir die östliche Weisheit als eindrucksvolle, auf sich selbst gestellte Größe anerkennen: mit bloßen Asienimporten ist der westlich mobilisierten Welt nicht zu helfen.

Genau das ist die Initiative des Americataoismus, der auf die "Krise des Westens" mit der Einfuhr von holistischem fast food aus Fernost reagiert. Selbstverständlich gibt sich diese Schnellküche auch als nouvelle cuisine, sie setzt auf Neues Denken wie auf ein unwiderstehliches Rezept, sie serviert planetarische Paradigmenwechsel wie Gänge in einem historischen Menü, und sie verspricht uns aufrichtig, daß nach dem rohen Fisch-Gang ein zartes Wassermann-Chop-Suey an der Reihe sei. Doch die Tragweite des Neuen Denkens erschöpft sich, wie zu fürchten ist, in dem Vorschlag, in Zukunft unsere Ideen mit Stäbchen zu essen - "der Mensch ist, was er ißt".
In: Peter Sloterdijk: Eurotaoismus. Zur Kritik der politischen Kinetik. Frankfurt, Suhrkamp (es 3328) 1989

Das Zeitalter des Epilogs
In jüngster Zeit hat die Vorsilbe "nach" eine denkwürdige Karriere gemacht. Kaum ein Feuilleton käme ohne sie auf die Höhe der Zeit. Als lateinisches "post" sprenkelt sie die neuere Kulturkritik, sie verbreitet ein Flair von eleganter Reflexivität, sie suggeriert, daß etwas im Gang ist, weil etwas anderes vorüber ist, zu ihr gehört ein Bewußtsein, das viele Welten hinter sich hat - auch jene, die eine schöne neue werden wollte.

Die Karriere der Vorsilbe "nach" deutet an, daß uns, obwohl Haarsträubendes geschieht, kein "Geschichtsbild" mehr zur Verfügung steht, das es der Gegenwart erlaubt, sich zu datieren. Seit allgemein sich der Eindruck verbreitet, daß die Geschichte keinen Fahrplan hat, tasten wir uns durch ein prozessuales Niemandsland voran.

Postmoderne kann darum zunächst kein Epochenbegriff mit Anspruch auf geschichtsphilosophische Substantialität, sondern nur ein Index für Reflexionssteigerung sein. Was mit der Reflexion hier steigt, ist aber nur die ernüchternde Wirkung der Betrachtung.
In: Peter Sloterdijk: Eurotaoismus. Zur Kritik der politischen Kinetik. Frankfurt, Suhrkamp (es 3328) 1989

Während aber die Kultur-Szenen die neue Instabilität affirmativ verarbeiten, das Chaos begrpßen und die Inkonsequenz zelebrieren, setzt seit wenigen jahren, von ökologischen Zirkeln ausgehend, dann von ökonomischen gesteigert, eine neuartige Diskussion über nachhaltigkeit - sustainability - ein. man begreift allmählich, daß der gegenwärtige way of life und Langfristigkeit zwei einander strikt ausschließende Größen sind.

Der industrielle Prozeß im Großen baut mehr natürliche und menschliche "Reserven" ab, als er selbst erzeugen oder regenerieren kann.
In: Peter Sloterdijk: Im selben Boot. Versuch über die Hyperpolitik. Frankfurt, Suhrkamp 1993

Das Motiv "konservative Revolution", das vor zwei, drei Generationen in den katholisierenden Widerstandbewegungen in Mittel- und Südeuropa erprobt wurde, hat vermutlich eine große interkulturele Karriere vor sich - unter religiösen, kulturalistischem, regionalistischem Vorzeichen. In der Welt ohne Form und der Gesellschaft ohne Identität werden Rückgriffe, Renaissancen und Rückbesinnungen auf alte Bestände massenhaft angezettelt. Ethnische Säuberungen mit völkermörderischen Zuspitzungen werden die Heftigkeit der Schreie nach Abhilfe gegen den Verlust der politischen Form in vielen Weltgegenden spürbar machen.
Peter Sloterdijk: Im selben Boot. Versuch über die Hyperpolitik. Frankfurt, Suhrkamp 1993


Verweise (links):