Zitate von Karl Kraus

(28.04.1874 Jicin/Böhmen - 12.06.1936 Wien)


Die Unterwerfung der Menschheit unter die Wirtschaft hat ihr nur die Freiheit zur Feindschaft gelassen, und schärfte ihr der Fortschritt die Waffen, so schuf er ihr die mörderischeste vor allen, eine, die ihr jenseits ihrer heiligen Notwendigkeit noch die letzte Sorge um ihr irdisches Seelenheil benahm: die Presse. (...) ... an einem trüben Tage wird es klar, daß das Leben nur ein Abdruck der Presse ist.

Habe ich das Leben in den Tagen des Fortschritts unterschätzen gelernt, so mußte ich die Presse überschätzen. Was ist sie? Ein Bote nur? Einer, der uns auch mit seiner Meinung belästigt? Durch seine Eindrücke peinigt? Uns mit der Tatsache gleich die Vorstellung mitbringt? Durch seine Details über Einzelheiten von Meldungen über Stimmungen oder durch seine Wahrnehmungen über Beobachtungen von Einzelheiten über Details und durch seine fortwährenden Wiederholungen von all dem uns bis aufs Blut quält? Der hinter sichì einen Troß von informierten, unterrichteten, eingeweihten und hervorragenden Persönlichkeiten schleppt, die ihn beglaubigen, ihm Recht geben sollen, wichtige Schmarothzer am Ueberflüssigen? Ist die Presse ein Bote? Nein: das Ereignis. Eine Rede? Nein, das Leben. Sie erhebt nicht nur den Anspruch, daß die wahren Ereignisse ihre Nachrichten über die Ereignisse seien, sie bewirkt auch diese unheimliche Identität, durch welche immer der Schein entsteht, daß Taten zuerst berichtet werden, ehe sie verrichtet werden, oft auch die Möglichkeit davon, und jedenfalls der Zustand, daß zwar Kriegsberichterstatter nicht zuschauen dürfen, aber Krieger zu Berichterstatter werden.

Karl Kraus: In dieser großen Zeit, Vortrag 1914; in: Weltgericht I (1919)

Die Mitwelt, die geduldet hat, daß die Dinge geschehen, die hier aufgeschrieben sind, stelle das Recht, zu lachen, hinter die Pflicht, zu weinen.
Larven und Lemuren, Masken des tragischen Karnevals, haben lebende Namen, weil dies so sein muß und weil eben in dieser vom Zufall bedingten Zeitlichkeit nichts zufällig ist. Das gibt keinem das Recht, es für eine lokale Angelegenheit zu halten.
Denn über alle Schmach des Krieges geht die der Menschen, von ihm nichts mehr wissen zu wollen, indem sie zwar ertragen, daß er ist, aber nicht, daß er war.

Karl Kraus, Vorwort zu "Die letzten Tage der Menschheit"


Seit 1.1.07 ist die "Fackel" von Karl Kraus dank Erlöschen der 70-jährigen Schutzfrist und der Arbeit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften online zugänglich. Registrierungen sind (derzeit) frei: http://corpus1.aac.ac.at/fackel/

Aus dem Österreich-Lexikon über Karl Kraus.

Karl Kraus im WWW - Österr. Gesellschaft für Literatur

Wörterbuch der "Fackel" - Österr. Akademie der Wissenschaften

Karl Kraus über Österreichs letzten Kaiser - Alfred Klahr Gesellschaft

Karl Kraus und die Blogger ORF

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