Zitate von Jürgen Habermas

* 18.06.1929

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"Tja, die Mediengesellschaft! Die Entsublimierung des Hehren - ein Flop ist ein Flop - hat ja auch etwas egalitär Erfrischendes. Aber wenn sich alles in eine Harald Schmidt Show verwandelt, wenn alle zu Moderatoren werden und Moderatoren nur noch mit Moderatoren sprechen, dann nimmt die Welt Luhmannsche Züge an. Ich glaube nicht, daß ich mir Illusionen mache über den Zustand einer Öffentlichkeit, in der kommerzialisierte Massenmedien den Takt angeben. Viele versuchen sich daran, diese virtuelle Realität auf den Begriff zu bringen. In Faktizität und Geltung habe ich aber die Sache aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet... [...]
Denn unsere Verfassung bringt immer noch die Idee der Selbstbestimmung eines demokratischen Gemeinwesens zum Ausdruck. Der bloße Satz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, besagt für die tatsächlichen Verhältnisse nicht viel, aber mehr als nichts. Auch die Bürger würden beispielsweise nicht zur Wahl gehen, wenn sie nicht intuitiv daran festhielten, daß die etablierten Verfahren doch noch etwas mit der klassischen Vorstellung von demokratischer Selbstbestimmung zu tun haben. Deshalb drängt sich die Frage auf, ob sich dieser Idee eine Lesart geben läßt, die sie davor bewahrt, zynisch entleert zu werden oder an den Realitäten hochkomplexer Gesellschaften schon auf den ersten Blick abzuprallen."

    Aus der Rede von Jürgen Habermas auf der Veranstaltung des Kulturforums der Sozialdemokratie: "Die Einbeziehung des Anderen" am 5. Juni 1998 in Berlin, Willy-Brandt-Haus:

In der politischen Öffentlichkeit entfalten die Konflikte, die sich heute auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene abzeichnen, ihre beunruhigende Kraft vor dem Hintergund eines normativen Selbstverständnisses, wonach soziale Ungleichheit und politische Unterdrückung nicht naturgegeben, sondern gesellschaftlich produziert - und deshalb grundsätzlich veränderbar sind. Aber seit 1989 scheinen sich immer mehr Politiker zu sagen: wenn wir die Konflikte schon nicht lösen können, müssen wir wenigstens den kritischen Blick entschärfen, der aus Konflikten Herausforderungen macht.

Wir müssen uns zunächst darüber klar werden, ob und gegebenenfalls wie Globalisierungsvorgänge die Funktions- und Legitimitätsbedingungen nationalstaatlicher Demokratien berühren (I). Pauschale Reaktionen auf die wahrgenommene Einschränkung des Handlungsspielraums nationaler Regierungen greifen allerdings zu kurz. Bei der Frage, ob die Politik den davongelaufenen Märkten nachwachsen kann und soll, müssen wir die Balance zwischen Öffnung und Schliessung sozial integrierter Lebensformen im Auge behalten (II). Die Alternative zu einer perspektivelosen Anpassung an Imperative der "Standortkonkurrenz" möchte ich im Hinblick auf die Zukunft der Europäischen Union erläutern, um am Ende die Perspektive einer Weltinnenpolitik ohne Weltregierung wenigstens zu erwähnen (III).

Wo immer Demokratien westlichen Zuschnitts entstanden sind, haben sie die Gestalt von Nationalstaaten angenommen. Der Nationalstaat erfüllt offensichtlich wichtige Erfolgsvoraussetzungen für die demokratische Selbststeuerung der Gesellschaft, die sich in seinen Grenzen konstituiert. Die nationalstaatliche Einrichtung des demokratischen Prozesses lässt sich schematisch unter vier Gesichtpunkten analysieren. Der moderne Staat ist nämlich als Verwaltungs- und Steuerstaat und als ein mit Souveränität ausgestatteter Territorialstaat entstanden, der sich im Rahmen eines Nationalstaats zum demokratischen Rechts- und Sozialstaat entwickeln konnte. In dieser Reihenfolge können wir unsere generelle Frage spezifizieren: Wie berührt die Globalisierung (1) Rechtssicherheit und Effektivität des Verwaltungsstaats, (2) die Souveränität des Territorialstaats, (3) die kollektive Identität und (4) die demokratische Legitimität des Nationalstaats?

Zusammanfassend lässt sich feststellen, dass sich die Verdrängung der Politik durch den Markt in einer Hinsicht bestätigt: der Nationalstaat ist in seiner Fähigkeit, Steuerressourcen auszuschöpfen, Wachstum zu stimulieren und damit wesentliche Grundlagen seiner Legitimität zu sichern, geschwächt. Für diese Defizite entstehen auch auf supranationaler Ebene zunächst keine funktionalen Äquivalente. Vielmehr lassen sich die nationalen Regierungen in einen kostensenkenden Deregulierungswettlauf verstricken, der zu öbszönen Gewinnspannen und drastischen Einkommens-disparitäten, zu steigender Arbeitslosigkeit und zur sozialen Marginalisierung einer wachsenden Armutsbevölkerung führt. Gleichzeitig lässt die Integrationskraft der bestehenden nationalen Lebensformen, die bisher die staatsbürgerliche Solidarität getragen haben, nach. Das führt auf seiten der Wähler zu Apathie oder Protest, auf seiten der Politiker zur Abrüstung ihrer Programme.

Der Verzicht auf politische Gestaltung der sozialen Verhältnisse und die Bereitschaft, normative Gesichtspunkte zugunsten der Anpassung an vermeintlich unausweichliche systemische Imperative des Weltmarktes einzuziehen, beherrschen die öffentlichen Arenen der westlichen Welt. Clinton oder Blair empfehlen sich als tüchtige Manager, die ein angeschlagenes Unternehmen schon irgendwie reorganisieren werden, und verlassen sich auf Leerformeln wie "It's Time for a Change". Der programmatischen Entleerung einer Politik, die auf den "Politikwechsel" an sich zusammenschrumpft, entspricht beim Wähler informierte Abstinenz oder die Bereitschaft, "persönliche Ausstrahlung" zu quittieren. Es geht sogar ohne die schillernden Figuren wie Ross Perot oder Berlusconi, die aus dem Nichts kommen und unternehmerischen Erfolg suggerieren. Wenn die Verzweiflung gross genug ist, genügt ein bisschen Geld für rechtsradikale Slogans und ein ferngesteuerter Ingenieur aus Bitterfeld, den niemand kennt und der über nichts anderes als ein Handy verfügt, um aus dem Stand fast 13% Protestwähler zu mobilieren. Wie soll man darauf reagieren?

Die Artikulation einer Blickrichtung ist auch die Aufgabe von politischen Parteien, die sich noch nicht ganz aus der Bürgergesellschaft ins politische System zurückgezogen haben. Parteien, die sich nicht am status quo festkrallen, brauchen eine Perspektive, die über ihn hinausweist. Und heute ist der status quo nichts als der reissende Strudel einer Modernisierung, die sich von alleine beschleunigt und sich selbst überlassen bleibt. Eine Partei, die sich noch Gestaltungskraft zutraut, muss innerhalb des nationalen Spielraums - des einzigen, in dem sie aktuell handeln kann - auf den europäischen Handlungsspielraum vorausgreifen. Und der muss programmatisch mit der doppelten Zielsetzung erschlossen werden, ein soziales Europa zu schaffen, das sein Gewicht in die kosmopolitische Waagschale wirft.


Bisher gibt es nur im nationalstaatlichen Rahmen Demokratien, die halbwegs funktionieren, wo also Bürger ihre Regierungen abwählen und auf einige Entscheidungen Einfluss nehmen können. Aber heute macht ein Regierungswechsel kaum noch einen Unterschied, weil das transnationale Wirtschaftssystem den Handlungsspielraum nationaler Regierungen immer stärker einschränkt. Mit der Politik selbst stirbt aber auch der politische Wille ab. In der hochmobilen Weltmarktgesellschaft, die den Einzelnen aus politischen Gemeinschaften - also aus gewollten und politisch gestaltbaren Lebensverhältnissen - immer unnachsichtiger in die freie Wildbahn des catch-as-catch-can entlässt, bildet sich ein neuer Fatalismus aus. Von dem religiös verankerten Fatalismus der alten Reiche unterscheidet der sich nur in den Motiven. Die entsolidarisierten Einzelnen, die im Naturzustand globalisierter Märkte dazu verurteilt sind, zu alerten Schmieden ihres eigenen Glücks und Unglücks zu werden, fühlen sich gleichzeitig ans opake Ganze eines anonymen Geschehens ohnmächtig ausgeliefert. Diese Abwärtsspirale könnte nur durch eine selbstbezügliche Politik gebremst werden, die auf die Erweiterung politischer Handlungsfähigkeiten, den Aufbau neuer Kapazitäten oberhalb und unterhalb der nationalen Ebene abzielt.

Das Bewusstsein der Endlichkeit ist eine notwendige Bedingung für den richtigen Gebrauch menschlicher Freiheit. Aber es gibt einen hochgestochenen Fundamentalismus der Endlichkeit, der sentimental, seinshörig und eskapistisch ist. Nachdem der Marxismus seine Antriebskraft verbraucht hat, haben wir in unseren Breiten eher zuwenig als zuviel Vertrauen in die politische Kraft des Machbaren. Heute beunruhigt mich vor allem das Phänomen, dass sich gleichsam die Politik selber abwickelt - und alle konsterniert zuschauen. Das ist die falsche Ratlosigkeit. Natürlich ist das Eingeständnis, noch nicht zu wissen, wie man es besser machen kann, der Anfang aller Belehrung. In diesem Sinn ist aufgeklärte Ratlosigkeit gewiss ein Element der belehrten Hoffnung.
"Wider den Fundamentalismus der Endlichkeit" Ein Gespräch mit Jürgen Habermas von Angelika Brauer, Neue Zürcher Zeitung, 12.06.1999

 


Im dänischen Habermas-Forum gibt es eine ganze Reihe von Artikeln zu Habermas 75. Geburtstag und zu seinem Werk: http://www.habermasforum.dk

Das Rezensionsforum Literaturkritik.de liefert einige Texte zu Habermas: http://www.literaturkritik.de/public/Habermas_Geburtstag.php

Habermas' Hausverlag, Suhrkamp, zu seinem Geburtstag und dem Kyoto-Preis: http://www.suhrkamp.de/autoren/habermas/75_geburtstag/geburtstag.htm

Kyocera zum Kyoto-Preis an Habermas: http://www.kyocera.de/kyocera_n/german/news/kyotopreis2004.html

Das Goethe-Institut zu Habermas: http://www.goethe.de/kug/ges/phi/thm/de132285.htm

Das Erbe der Väter, die 68er Generation und die Politik der USA: Gespräch mit Jürgen Habermas aus Anlass seines 75. Geburtstags, Allgemeine Zeitung, 18.06.2004:
http://www.allgemeine-zeitung.de/feuilleton/objekt.php3?artikel_id=1514990

In der TAZ am 18.6.04 zu Habermas: "Unser Projektleiter" http://www.taz.de/pt/2004/06/18/a0152.nf/text.ges,1

In der WELT zu Habermas: Hohepriester des Konsenses: http://www.wams.de/data/2004/06/13/290828.html

Websites mit Texten von, über und Verweisen zu Jürgen Habermas:
http://staff-www.uni-marburg.de/~lotzc/haber/welcome.html

Die Philipps Universität Marburg stellt Videos der Christian Wolff-Vorlesung 2001 bereit, als Habermas dort vortrug: http://www.uni-marburg.de/hrz/multimedia/video/cw.html

Habermas-links, collected by Antti Kauppinen:
http://www.helsinki.fi/~amkauppi/hablinks.html#writings

Habermas online: http://www.sla.purdue.edu/people/soc/mdeflem/HabermasOnline.htm