Zitate von Jean Amery

(31.10.1912 Wien - 17.10.1978 Salzburg)


Er lauschte nach dem Unhörbaren, während das Unerhörte schon im Begriffe war, sich zu ereignen.
Jean Amery: Unmeisterliche Wanderjahre. Stuttgart 1985:31

Ein unsichtbarer Bogen spannt sich hinüber zu den eingestanden repressiven Staatsmaschinerien, denn ob der Gedanke von einem für Ideologie verantwortlichen Gremium vorgeschrieben wird oder vom Marktgesetz, macht kaum einen Unterschied aus.
Jean Amery: Unmeisterliche Wanderjahre, Stuttgart 1985:21f

Jedenfalls ist es so, daß die Jugend unserer Zeit, die sich global informiert dünkt und darum die Informiertheit an die Stelle des perhorreszierten Begriffs geistiger Reife und Lebenserfahrung gesetzt hat, noch in der Bestreitung des Monopolkapitalismus diesem tributär bleibt.
Jean Amery: Unmeisterliche Wanderjahre, Stuttgart 1985:22

Wären die Reaktionäre von damals auch Reaktionäre im geschichtlichen Verstande, wenn par malheur Hitler samt seiner Neuen Ordnung jenen Sieg errungen hätte, den er um Haaresbreite, jawohl, um Haaresbreite nur verfehlt hat?
Jean Amery: Unmeisterliche Wanderjahre, Stuttgart 1985:24

Es geht nicht gar so schlimm. How are you? Fine, just fine, hat zu sagen, wer nicht zum Spielverderberr werden will. Doch kann ich - auch dies ist unveräußerliches Menschenrecht - das Spiel als schon verdorben ansehen. Es fehlt nicht an Gründen, aus denen ein Abseitsstehen, das freilich Gefahr läuft, zur Abseitigkeit zu werden, vernünftig sich rechtfertigen läßt. (S.126)
Gleichwohl habe ich einen mir sehr bewußten und sogar treulich gehgten Widerstand dagegen, Chiffre zu sein in einer Struktur von Fakten und nach der Untersuchung zu reden mit einem Manne, der seinerseits nichts ist als die Magnetophonstimme, die eben diese zu Strukturen geordneten Fakten in meine Alltagssprache übersetzt. Reaktionärer Unfug. (S.127)
Denn weit über den Zwang des objektiv gesellschaftlich Gegebenen hinaus erschsien vorm Horizont ein Überbau der Entindividualisierung und Deshumanisation, der manche Züge generellen Gestörtseins und kollektiv suizidärer narrenlust trug. (...) Da der Nachdenkende ohnehin dazu tendierte, den ganzen Begriff des Überbaus, dem ja eine einsichtige Infrastruktur hätte entsprechen müssen, zu liquidieren, trat der zur Leerformel und Hohlform gewordene Mensch als ein multikausal bedingdtes Phänomen ihm entgegen. (...)
Der Mensch - oder für diese Art der Konstruktion richtiger ausgedrückt: das menschliche Wesen - dachte nicht, sondern wurde gedacht von der durch ihn zur Manifestation gelangenden Struktur. Er handelte nicht: die Struktur agierte durch sein Medium. (S.131f)
Jean Amery: Unmeisterliche Wanderjahre. Stuttgart 1985

In der Wirtschaft verhält es sich so, daß Unternehmungen, die nicht einen bestimmten, vorauskalkuliereten Prozentsatz von Umsatzsteigerung aufweisen, als rückläufig angesehen werden, was sie denn tatsächlich nach einigen Jahren auch sind - und dann also ihrer geringen Rentabilität wegen liquidiert werden müssen. Was nun in der Ökonomie Expansion genannt wird, findet im Kulturbetrieb seine Entsprechung in der Innovation. (...)
Er wird, dieser Kulturbetrieb, der letzten Endes hinausläuft auf ein historisch bedingtes, ständig neu sich einwägendes soziales Gleichgewicht von Urteilen, Meinungen, Meinungen über Meinungen, die am Ort Tretenden als die Rückschreitenden ansehen und dementsprechend behandeln. (...)
Wert, darüber sollte gar keine Diskussion mehr nötig sein, ist ein rein soziales und historisches Phänomen. Der Wert ist keine intersubjdektiv definierbare Qualität, die einem künstlerischen Gegenstand (Buch, Bild, Musikstück) anhaftet, ist vielmehr ein Netz von Beziehungen, das sich zwischen dem Gegenstand und den Rezeptoren knüpft.
Jean Amery: Lefeu oder der Abbruch. Roman-Essay. Stuttgart 1974:82f

Zu beharren ist auch noch auf dem Vernunftbegriff eines, der gegen die ökonomisch vernünftige Unvernunft von Galeriebesitzern sich sperrt. Die Unterscheidung impliziert zunächst noch keine Bewertung, sagt nur aus, daß es sich in beiden Fällen - dem der Galeriebesitzer einerseits, demjenigen des neinsagenden Malers andererseits - um freie Wahl gänzlich verschiedener Vernunft- und Logiksysteme handelt.
Die Leute, die verkaufen wollen, müssen anbieten, was gefragt ist, oder, wovon sie glauben, hoffen, daß es gefragt sein werde. Wer nichts verkaufen will, wie etwa ein neinsagender Maler, entzieht sich der immanenten Logik des Marktes und nimmt ein marktfreies Normensystem an: ihm kann dann gleichgültig sein, ob er 'in' ist oder 'out', richtiger gesagt: er muß, sobald er das Gefühl hat, er sei 'in', von Unbehagen und Selbstverdacht, erfaßt werden.
Jean Amery: Lefeu oder der Abbruch. Stuttgart 1974:105


Jean Amery: Hand an sich legen (1976) In: Abschied & Trauer. Perlen der Weltliteratur. Herausgegeben von Emmanuel Bohn

Lefeu ou La démolition de Jean Amery. Librairie de raisonnée littérature

Eine Million Gründe das Leben zu verneinen... Von Hermann Maier. Aurora-Magazin

Reseñas: Cuaderno de Materiales Filosofia y Ciencias Humanas: Jean Améry, conciencia desgraciada.

Text + Kritik, Heft 99: Jean Améry. Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold

Stefano Zampieri (ALTRE LETTURE): JEAN AMERY: Intellettuale a Auschwitz

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