Haimo L. Handl

Zensur im Internet

Es gibt immer Gründe für eine Zensur. Sicherheit ist einer der obersten. Es gibt immer Gründe gegen eine Zensur. Reife, Verantwortung, Freiheit wären die Hintergründe.

Für Zensur werden meist Schutzgründe angeführt. Bei uns wird besonders der Jugendschutz als Vorwand genommen, um gegen bestimmte Inhalte und deren Verbreitung vorgehen zu können.

Kinder und Jugendliche wachsen in einer realen Welt auf, in der die mediale nur einen und nicht den zentralen Aspekt ausmacht. In dieser realen Welt obliegt die Fürsorge zuerst den Vormündern, dann erst den anderen Sozialisationsinstanzen, dann erst, wenn überhaupt, der Öffentlichkeit, vertreten durch staatliche Einrichtungen usw.

Zensur ist Symptombehandlung.

Die strikte Zurückweisung von jeder Art Zensur ist nicht gleichbedeutend mit dem Akzept oder gar der Unterstützung dessen, was nicht zensuriert wird. Es ist ein wesentlicher Unterschied für selbstverständlich anzunehmen, daß in einem „freien“ Staat die Meinungsäußerung „frei“ ist, also überhaupt keine Zensur stattfindet und, ohne jeden Widerspruch dazu, gleichzeitig gegen Kommunikatoren jener Inhalte vorzugehen, die bestimmte Gesetze verletzen. Auch in den USA, mit der starken Tradition des First Amendment, gibt es die Möglichkeit, nicht nur gegen Verleumdung vorzugehen, sondern gegen Aufruf zu verbotenen Gewalttaten (nicht jede Gewalttat ist ja verboten!) oder bestimmten kriminellen Handlungen.

In Zeiten gesellschaftlicher Wandlungen und Krisen ist es für viele naheliegend, vordergründige Sicherheitsforderungen aufzustellen und entsprechende Exekutionen durchzuführen. Sie sind immer Ausweis einer Schwäche, einer Angst. Es gibt keine allumfassende oder wirkliche Sicherheit. Gerade aus einem gesteigerten Unsicherheitsgefühl ist so manches nach Sicherheit rufende, hysterische Verhalten zu erklären.

Die Unterdrückung sogenannt gefährlicher Meinungen, Lügen (Auschwitzlüge!), Heräsien, (nicht nur in der röm.kath. Kirche) Gotteslästerungen, staatsgefährdender Ideen usw. geht einher mit der Hatz auf Porno, Sex und jener Sozialformen, die nicht gerade der herrschenden Moral entsprechen.

Das verlogene Geschwätz von Kinder- und Jugendschutz, dem die Alltagsrealität nicht nur der Medienindustrie, sondern überhaupt der Konsumgesellschaft Hohn spricht, wäre alleine noch kein Grund, die Zensur zurückzuweisen. Es soll auf Zensur auch nicht deshalb verzichtet werden, weil sie nicht überall wirklich exekutierbar ist. Aus einer emanzipatorischen Vernunft heraus ist jeder Zensur zu widersprechen. Zensur verletzt die Menschenwürde!

Leute, die vor lauter Sicherheitswünschen nach Aufpassern, Polizisten und Richtern rufen, ja von „Hygiene“, Reinigung und Ausmerzung reden, muß klargemacht werden, wie zutiefst inhuman, menschenverachtend, faschistoid diese ihre Haltung ist: sie bereiten „geistig“ den Terror vor, den die Tugendhaften, die Inhaber der Wahrheit, seit je als Ziel ihrer Politik, ihres Wirkens sahen.

Diese „Hygiene“ bringt jene „Unreinen“ um, die nicht der Glaubensgemeinschaft angehören. Früher waren das Autoren, deren Bücher man zuerst verbrannte, bevor einige von ihnen selber drankamen, heute sind es Gotteslästerer (nicht nur bei den Mullahs), Staatsfeinde (nicht nur in China), Terroristen und Banditen (nicht nur im Nahen Osten, in Anatolien, Ulster oder im Baskenland etc.) oder sozial Aussätzige (Drogenabhängige, wenn sie nicht der Oberschicht angehören, Staatskünstler, Intellektuelle).

Bezüglich dem Internet ist, etwas schadenfreudig, anzumerken, daß diese Einrichtung, welche ja ihren Ursprung im Militär hatte und konzipiert wurde, um sogar einen GAU bzw. nukleare Kriege zu überstehen, in der Gesellschaft einmal installiert, sich nicht mehr wegoperieren läßt. Jetzt greift keine nationale Zensur mehr. Jetzt sind der nationalen Souveränität endlich einmal von einer anderen Seite her Grenzen gesetzt, die, paradoxerweise, das potentiell (positiv) Subversive des Netzes ausmachen: es ist nicht mehr zentral steuer- und damit zentral kontrollierbar.

(1997)