Haimo L. Handl

Schwarzblau

Meine Haltung zur Reaktion des In- und Auslandes zur neuen Regierungskoalition in Österreich wurde von einigen leicht missverstanden als Hinnahme oder Bagatellisierung rechter oder rechtsextremer Politiken.

Ich bedauere die Kurzsichtigkeit solch unqualifizierter Verkürzungen oder Vorurteile. Ich finde es nicht nur keinen Luxus, in der Anerkenntnis und Übung von Rechtsstaatlichkeit auf die grundsätzliche Formalität des Rechtsgefüges zu verweisen bzw. sich daran zu orientieren, weil nur damit jeder Willkür entgegengewirkt wird, sondern unabdingbar dies sicherzustellen, soll einer Resakralisierung und Reideologisierung nicht der Weg bereitet werden, welche beide den Rechtsstaat aushöhlten und den Boden bildeten für Machtmissbrauch durch einseitigen Wahrheitsanspruch.

Die Beispiele für den "Terror der Tugendhaften" sind Legende; Geschichtskundige brauchen nicht eigens erinnert werden an verschiedenste, unterschiedliche Gesellschaftssysteme verschiedener Nationen und Staaten, wo sich solches unmenschlich zeigte und zeigt.

Das alles heisst ja nicht, dass nicht innerhalb des verfassungsgemässen, rechtlichen Rahmens Widerstand (Opposition) und Kritik möglich sei oder sein könnte.

Ich befürchte vielmehr, dass die so vielen willkommene Polarisierung das differenzierende, vernünftige Denken karenziert und Aktionen schon vom "guten Willen" und der politisch opportunen und daher "richtigen", korrekten Haltung her "rechtfertigt".

Bei steigender Ideologisierung wird bald nur mehr der Hinweis auf gewisse grobe Merkmale genügen, um jemanden nicht nur auszugrenzen, sondern gegen ihn vorzugehen. Es bleibt dann nur noch eine Frage der Zeit, bis wieder Bücher verbrannt werden, weil es sich um Ungeistprodukte handelt, bis Redner geschlagen oder gemordet werden, weil sie Unmenschen, Abschaum, Ungeziefer, Schlangen, Rattenfänger und dergleichen seien. Es dauert nicht lange, bis die Guten, die Mitmenschler bestimmen, sie müssten ganze Gruppen nicht nur observieren, sondern unter direkte Kontrolle nehmen...

Sieht niemand, dass hier der sogenannte Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben wird?

Ich verabscheue diese Haltung, diese heuchlerische Politik der vordergründigen Gütigkeit und Wahrheit. Ich fürchte mich vor dem Terror dieser Tugendwächter. Das Beispiel der revolutionären Garden im China des weisen Führer Mao Tse Tung kann doch nicht vergessen sein, ebensowenig der Terror der Aufräumer der Mullahs, die sicher viele gute Gründe für ihren Widerstand gegen die dekadente, verbrecherische Clique des Schah-Regmies hatten. Doch zeigte und zeigt ihr Regime, dass sie ein undemokratisches, inhumanes System nur durch ein anderes, ebenfalls terroristisches System ersetzten, das sich sogar noch die religilöse Weihe gab.

Diese Gefahr der Ideologisierung und Religiosisierung steht nicht nur in Österreich, sondern generell in Europa und der Welt an. Alerte Bürger erkennen dies in der gezielten und forcierten Instrumentalisierung der Erinnerung, insbesondere des Holocaust, in den Geschichtsrevisionen und -klitterungen verschiedenster Coleurs. Es ist keine Nebensächlichkeit, dass das "Schwarzbuch des Kommunismus" als Propagandageschwätz kaum rezensiert wird, es ist keine Bagatelle, dass die Reinterpretation des Vietnamkrieges und der US-Rolle neu gefasst wird.

Vor dem Hintergrund der geplanten EU-Erweiterung, der Rolle des grössten Anwärters, der Türkei, der innenpolitischen Probleme und Schwierigkeiten in vielen EU-Staaten erscheint die Aktion der 14 gegen 1 unter ganz anderem Licht.

Ich bedauere, dass die innenpolitisch gerechtfertige und notwendige Opposition erstens so spät sich artikuliert, zweitens sich Interessen unterordnet, die nicht unsere sind. Diese Verquickung ist trotz der verständlichen und begrüssenswerten Gegnerschaft gegen die schwarzblaue Koalition nicht hinzunehmen, ausser man ist kurzsichtig oder kollaboriert. Beides finde ich bedauerlich. Den rechtsextremen, ressentimentgeladenen, populistischen Aktionen der Freiheitlichen ist erfolgreich auf Dauer nicht mit Dämonisierung zu begegnen. Vermutlich half und hilft Dämonisierung nie, sondern schadet nur. Zudem ist in ihr ein Schwächezeichen zu sehen, eine Art Bankrotterklärung der eigenen Politik.

Bei all dem wird auch das langjährige Hinarbeiten zu dieser Malaise seitens der Sozialdemokraten übersehen. Die erscheinz jetzt als Hort der Demokratie, wo sie sich doch, in schlechter "Hausmeistermanier" selbst innerparteilich kaum wirklich demokratisch weiterentwickelte, selbst nie im Parlament jene Reformen animierte oder erreichte, als es ihr möglich gewesen wäre, weil der Machtausbau, dessen Absicherung und das Geniessen der Privilegien und Pfründe soviel angenehmer war.

In einem Staat, der, meiner Einschätzung nach als "bessere DDR", die schier totale Staatsverwaltung über Jahrzehnte pflegte und nur zögernd abgab, braucht es doch nicht zu wundern, wenn viele Wählerinnen und Wähler Populisten zulaufen, zumal die VP und SP selbst sich in populistischen Tönen und Maximen versuchten, um das Fehlen von Genuinität, Charakter oder Eigenständigkeit zu übertünchen.

Die Selbstgefälligkeit, welche aufgrund wirtschaftlicher Erfolge sich besonders leicht einstellte, rächt sich in der Inflexibilität für Innovationen oder demokratische Kontrolle. Das Parlament wurde nicht von der FP oder den früher kleinen Oppositionsparteien "geschwächt" oder minder geachtet, sondern von den früheren Grossparteien praktisch als "Dependance" gesehen. Das lässt sich relativ eindeutig und leicht an der Budgetierung der Parteien versus dem Hohen Haus ablesen, aber auch an der Geschäftsordnung, die ja die herrschenden Kräfteverhältnisse widerspiegelt(e). Es waren die VP und SP, die wiederholte Versuche der damals kleineren Oppositionsparteien nach dem sogenannten Minderheitenrecht Untersuchungsausschüsse auch gegen den Willen der Mehrheit einrichten zu könen, abschmetterten, weil es ihnen nicht genehem war. (Hintergründe werden u.a. beleuchtet in Texten und Arbeiten einiger meiner Lehrveranstaltungen am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.)

Man soll auch nicht vergessen, wie stark der Widerstand der VP und SP gegen die Grünen war, die als Neue ins Parlament frischen Wind brachten und das parlamentarische Geschehen aufwerteten.

Der Parlamentarismus ist immer noch, auch gegenwärtig, schwach entwickelt, nicht zuletzt wegen der Haltung der früheren Grossparteien.

Sieht man sich das parlamentarische Geschehen näher an, z.B. das Verhältnis von Regierungsanträgen gegen solche der Fraktionen oder Abgeordneten, erkennt man ein ungeheures Übergewicht von Regierungsanträgen. Beschaut man näher den Zeitplan, den die Abgeordneten haben, solche Anträge zu studieren und zu prüfen, um dann ihre Stellungnahme dazu abzugeben (Abstimmung), erschrickt man über den programmierten Zeitdruck, die Unmöglichkeit, sich in vielen komplexen Fällen verantwortlich mit der Materie befassen zu können.

All das ist kein Zufall. Das ist und hat System. Es ist heuchlerisch, darin keine Gefahr für die parlamentarische Demokratie sehen zu wollen bzw. so zu tun, als sei mein nicht nur Vertreter der Demokratie, sondern deren Hüter.

Die Macht der Fraktionen, also der Klubs, ist hoch, sehr hoch. Viel höher, als die Allgemeinheit durch die meist oberflächlichen, personenorientierten "Berichte" erfährt. Das Listenwahlrecht erlaubt das Besetzen mit Mandatsposten nach dem Willen der Fraktion, obwohl es ein sogenanntes "freies Mandat" gibt. Deshalb können Personen von der Regierungsbank wieder in den Abgeordnetensitz wechseln, ohne dass es dazu eigener Wahlen bedürfte, wechseln Präsidenten des Nationalrates wieder in den Sitz des Klubobmannes usw. Gegen früher, und noch unglaublichere Zustände, hat sich nur geändert, dass Regierungsmitglieder nicht von der Regierungsbank direkt zum Abgeordnetensitz sich begeben und in derselben Sitzung den praktischen Rollenwechsel vom Parlamentarier, also Mitglied der Legistlative zum Regierungsorgan, also Mitglied der Exekutive, erfolgreich unter Beweis stellen.

Die Heuchelei, einerseits keine Gründe für ein Verbot einer Partei zu finden, andererseits, wenn der Souverän diese Partei mit einer Stärke ausweist, die eine Regierungsbeteilung ermöglicht, von einer Katastrophe zu sprechen, ist widerlich. Das gilt auch für das Europäische Parlament.

Ähnliches ist für den korrekten Jargon für Brüder- und Schwesterlichkeit und Integration zu rekalmieren, der just gegen gewisse andere seine Kehrseite zeigt; die Ausgrenzung des Gegners, so kultiviert vertreten vom früheren SP-Chef Vranitzky, dessen Ruf damals noch nicht angekratzt war von Freiflügen einer westdeutschen Grossbank, führte zur Etablierung eines Feindes, den man als Projektionsfeld verwenden konnte, grad so, wie jener es selber tat. Beides war und ist unreif und unvernünftig. Opposition wäre und ist ohne diese Feindstilisierung möglich.

Jedenfalls scheint das Aufheizen der Stimmung, diese Art der Polarisierung nicht im Interesse einer Gesellschaft, die den Begriffen von Rechtsstaat, Demokratie und damit verbundener Werte sich verpflichtet weiss.

Ein Satz von Max Horkheimer, 1960 geschrieben, mag eine andere Denkweise anzeigen:

    Wie man dem Bannkreis des Bestehenden sich entziehen kann, weiß sie nicht vorzuschreiben, sie kann bloß versuchen, den Bann beim Namen zu nennen. Wenn es daher nicht angeht, den Menschen vorzureden, wie sie es machen sollten, um der Schrumpfung des Menschlichen Einhalt zu gebieten, wenn die Vorstellung Wahn ist, man könne die gefährlichen Entwicklungen in Technik, Familie und allen menschlichen Beziehungen abbrechen, die doch alle aus den Mängeln der früheren Verhältnisse entspringen und ebensosehr ein Berfreiendes an sich haben wie ein Fesselndes, so kann vielleicht aus dem präzisen Wissen um das Falsche das Richtige sich durchsetzen.
(Weitere Zitate von Horkheimer finden Sie in der Rubrik "Zitate".)

Die Anmassung jener, die meinen nicht nur "lehren", "belehren" zu müssen, sondern rigide zu fordern ist deshalb so unerträglich, weil sie sich nicht nur politisch begründet, sondern sich frech auf allgemeine humanistische Werte beruft und zugleich dabei wesentliche Aspekte dessen, was diese Humanität ausmachte oder ausmachen sollte, missachtet. Aus Horkheimers Denken spricht dagegen ein Respekt bzw. eine Erkenntnis der unvermögenden Vordergründigkeit der kommandierten Aktion.