Haimo L. Handl

Radiofeier

Das Radio feiert in Österreich seinen 80. Geburtstag. Klingt gar nicht so alt, nicht? Das Medium kommt einem viel, viel älter vor, obwohl es sich neben den neuen Medien immer noch behauptet.

"Radio" ist ein eigentümliches Wort. Es kommt aus dem Lateinischen, bedeutet "strahlen" (Radius = auch: Strahlen), ist aber eine Abkürzung des englisch-amerikanischen "radiotelegraphy", wie die Ausstrahlung elektromagnetischer Wellen zwecks Nachrichtenübermittlung genannt wurde.

Der Begriff ist positiv konnotiert; allerdings ähnliche Begriffe wie "Radioaktivität" nicht. Es bürgerte sich auch "telegen" ein, nicht aber "radiogen".

Ganz anders als bei den Zeitungen, war von Anbeginn das Radio ein privilegiertes Medium, nur wenigen Betreiberorganisationen ermöglicht oder erlaubt. Die Regierungen, die Staaten nahmen es sofort in Beschlag bzw. übten die Oberkontrolle aus. Dies wurde in einigen Ländern gelockert oder aufgehoben, aber die Mehrheit hält sich noch rigide Kontrollrechte vor bzw. findet es gerechtfertigt, eine Radiogebühr für jedes Gerät einzufordern, unabhängig, welchen Sender man hört.

Radio war DAS Propagandainstrument. Man nannte das auch "Volkserziehung". Es diente der nationalen Identifikation als auch der nationalen Werbung. Es war das herausragende Indoktrinationsinstrument. Unsummen wurden ausgegeben, um den Empfang ungewünschter Sender zu stören. Mit Strafandrohungen wurde das Abhören von "Feindsendern" bekämpft. Radio war eine Waffe. Radio wurde zum Weichtonspüler, zur bewährten Abstumpfungseinrichtung.

Da jedes Gerät für den Betrieb angemeldet werden musste, und in Österreich (aber auch in vielen EU-Ländern) immer noch angemeldet werden muss, wusste und weiss die Behörde, wo Geräte stehen. Sie fordert nicht nur die Gebühr ein, sie weiss auch um die Aufstellungsorte. Sie hat die Daten, die ein Überwachungsstaat braucht.

Früher rechtfertigte man das mit den enormen Volksbildungskosten bzw. der Staatsräson bzw. dem "Informationsauftrag", die als "Grundversorgung" definiert wurde. Dass die Mehrheit es ohne Murren hinnimmt, heute noch eine obligatorische Gebühr zu bezahlen, die sich mit dem Gerät verbindet und nicht mit dem Konsum, zeigt, wie stark die Unterwürfigkeit sich eingraviert hat, wie selbstverständlich die Anmassung des Staates genommen wird, wie normal man die Kontrolle und Geldeintreibung findet.

In unserer Nachbarrepublik Deutschland verlangt jetzt ein Herr Otto, Mediensprecher der FDP, gar eine allgemeine "Kopfsteuer" als Medienabgabe für diese Grundversorgung, weil das bisherige Modell der Gebühr für das Empfangsmodell untauglich, "absolut inkonsequent" sei. Das hätte den Vorteil, dass keine Überwachung hinsichtlich Empfangsgeräte durchgeführt werden muss. Jeder zahlt.

Vielleicht definieren andere clevere Typen neue "Grundversorgungen", die separat besteuert werden? Trinkwasser, Atemluft, Grundschule, innere Sicherheit (Polizei) etc.? Die Staaten und die davon privilegierten Rundfunkgesellschaften halten künstlich einen überholten, obsoleten Versorgungsbegriff aufrecht, um sich komfortabel zu finanzieren bzw. auch Kontrolleinrichtungen ausbaubar pflegen zu können.

Man stelle sich vor, frau müsse, wie in einigen Diktaturen heute üblich, die Computer registrieren lassen und nicht nur eine Fixgebühr dem Staat oder einer seiner Einrichtungen bezahlen, sondern damit der Behörde auch eine genaue Kenntnis der Standorte und Anschlüsse vermitteln! Wie leicht lassen sich da über Nacht Zensurmassnahmen durchsetzen, Beschlagnahmungen, Bestrafungen, weil "Schwarzbetrieb" etc., durchsetzen. Die "netten Leute" können jederzeit jederort gezielt zuschlagen.

Bei Radio und Fernsehen wird das hingenommen, weil wir ja in einem freien Land sind. Wir finden sogar die GIS-Werbung lustig, obwohl sie aus der Nazizeit kommen könnte; ältere werden beim freundlich-gemeingefährlichen Hinweis auf "nette Leute", die urplötzlich vor der Tür stehen und klopfen, zusammenzucken, weil sie die "netten Leute" von damals, als das Klopfen nicht den Milchmann anzeigte, nicht vergessen können.

Aber die meisten sind unbedarft und finden, der Staat soll den ORF bzw. eine Unterorganisation ruhig mit polizeilichen Agenden betrauen und in der Werbung ein Angstklima vor den "netten Leuten" erzeugen, auf dass jeder sich meldet und registrieren lässt, wenn er ein Radio- oder Fernsehgerät betreibt. Kusch, zahl! Auch wenn Du was anderes hörst und siehst. Basta. Die EU deckt das.

Die Frechheit des Obrigkeitsstaates grinst hinter alledem, und noch so klischierte Radiogeschichtsschnulzen können nicht verdecken oder darüber hinwegtäuschen, dass dieses Medium alles andere als frei ist. Und in naher Zukunft nicht frei sein wird, weil es nicht frei sein darf.

(Die staatlich nicht intentierten und geplanten Freiräume im Internet werden mit Argumenten der Wirtschaft und des Copyrights besonders in den sogenannten freien, westlichen Staaten, zuvorderst in den USA, massiv und drastisch eingeschränkt. Es wird an hochkomplexen, tiefgreifenden, allumfassenden Überwachungstechniken gearbeitet, um den für die Industrie und das Kapital unerträglichen Zustand, wie er ungeplant sich in der Frühentwicklung des Internet manifestierte, zu eliminieren.

Wenige Jahre nach dem Sieg der kapitalistischen Welt über den Realkommunismus halten Überwachungs- und Kontrollmassnahmen Einzug bzw. werden zügig ausgebaut, die die frühere Tscheka oder Gestapo als Sandkastenspielwiesen ausweisen.

Dabei geht es aber nicht nur um die unterschiedliche Technologie und Technik, sondern auch das "weiterentwickelte" Bewusstsein. Viele waren früher machtlos gegenüber Gestapo oder Stalins Schergen, aber die Überwachung war vielen bekannt. Heute ist den Mehrheiten die Überwachung, Kontrolle und Gängelung bzw. Manipulation nicht bekannt. Ja, wenn man Belege für Ihr Vorhandensein und Wirken publik macht, wird man als unglaubwürdig abgetan, wenn nicht schlimmere Reaktionen folgen. Soviel zur "freien Entwicklung".)

Kolumne "Das Wort zum Sonntag", www.kultur-online.net, 17.10.04