Haimo L. Handl

Presse presst, Television strahlt

Das Zeitungs- oder, wie es auch heisst, Pressewesen, hat eine lange, für einige eine "ehrwürdige" Tradition. Es gilt als DAS Massenmedium. Medium der Massen, Medium für die Massen, nicht aber Medium von den Massen. Hergestellt wird es von Firmen und deren ausgewählten Mitarbeitern, die in und mit diesem bewährten "Einwegmedium" liefern, was sich absetzen lässt.

Der Publikumswunsch gilt nur indirekt bzw. dort, wo er direkt entsprochen und befriedigt wird, war das Bedürfnis, lange vorher schon "gebildet" und eingerichtet worden, so dass das Publikum das wünscht, was es wünschen soll, auf dass das Geschäft sich erfüllt und alle zufrieden sind.

Früher, als die Ideen und Hoffnungen der Aufklärung noch nicht abgedankt hatten, weder offiziell noch inoffiziell, galt die Meinung, das Niveau des Publikums werde sich steigern und damit das der Lieferanten, der Reporter, Journalisten und Redakteure.

Es war eine Täuschung, ermöglicht und genährt vom Missverstehen der Marktgesetze und von irrigen Freiheits- und Emanzipationsbegriffen. Die Zurichtung des Publikums steigerte sich in höchstentwickelte Abrichtung. Dank besserer Technik und gesunkenem Allgemeinbildungsgrad wird diese Zu- und Abrichtung nicht als solche erkannt, was einen wesentlichen Faktor ihres Erfolgs ausmacht.

Der frappante Widerspruch zwischen "highly sophisticated" Kommunikationstechniken und -medien, höchstgesteigerter Geschwindigkeit, weltumspannender, sofortiger Erreichbarkeit und dem Informationsstand der konsumierenden Massen ist nicht nur skandalös, sondern, zumindest für sich frei dünkende Demokratien, erschreckend gefährlich.

Die allermeisten Medienkonsumenten werden jedoch nicht über das Druckmedium Zeitung erreicht, sondern übers Radio (vor allem in der sogenannten Dritten Welt) und dem Fernsehen. Die Television wiederum hat die höchsten und tiefgreifendsten Manipulationsmöglichkeiten. Auch dort, wo Propaganda nicht primär intentiert ist.

Das Fernsehen bringt die Welt ins Haus. Dieser lapidare Satz ist schon eine Täuschung, die von Täuschungswilligen gepflegt wird, auch wenn sie's nicht wissen. Da treffen sich die einen, die täuschen und die ihr Täuschungsgeschäft, das kein Tauschgeschäft ist, umbenannt verkaufen. Da sind die anderen, die die Täuschungsprodukte willig annehmen. Es wäre aber falsch zu meinen, sie würden sie ablehnen, wenn sie die Täuschung erkennten.

Die Gewohnheit, die Bequemlichkeit, das heisst, der an- und eingewöhnte Komfort würden auch wider bessere Kenntnis dazu führen, dass die meisten keine andere Wahl träfen, auch wenn sie eine Wahlmöglichkeit hätten.

Es gibt aber in den wichtigen Hauptmedien keine andere Wahl. Und das dumpfe, unkritische, nichtfragende Anerkennen dieses Zustands zementiert eine Abrichtepraxis, als ob sie einem Axiom entspräche. Die wenigen Randmedien, Aussenseiterstimmen, Nischenprodukte erreichen nur wenige.

Der Unterschied zu den früheren historischen Epochen ist kein prinzipieller oder grundgelegter. Nur die absoluten Zahlen haben sich verändert, die Techniken sind höher entwickelt. Kaum verändert hat sich im Wesentlichen jedoch der Emanzipationsgrad der vielen Einzelnen, die, gesammelt in den Massen, die massenmedialen Produkte konsumieren.

So kommt es, dass in der höchstindustrialisierten, höchstentwickelten, mächtigsten Nation der Welt, den USA, Fragen gestellt werden, weshalb die Mehrheit der Amerikaner so schlecht und niedrig informiert ist, so wenig weiss, so "gutgläubig" den Medien vertraut. In einem Anflug von seltener Selbstkritik fragt gar ein herausragendes Qualitätsmedium, die New York Times, wie es kommen konnte, dass Zeitungen wie sie, frei und unabhängig, so schnell und simpel Regierungsverlautbarungen verlautbarten, obwohl doch in ihrem Land weder Zensur herrscht noch die Verpflichtung, Staatspropaganda zu übernehmen.

Ähnliches haben schon früher andere gefragt, allerdings in Nischenmedien und nicht in den Fernsehstationen der grossen Networks oder den Qualitätszeitungen. Deshalb war das auch nicht allgemein rezipiert worden. Diese Randstimmen blieben und bleiben am Rand. Es gab und gibt keine direkte Zensur. Jeder Amerikaner hätte, wie ich es konnte und kann, diese Medien lesen können, hätte sich den divergierenden Meldungen, Analysen und Kommentaren aussetzen können. Aber, in aller "Unschuld", als braver Bürger, als politically correct citizen, hat er nie zur Kenntnis genommen, dass die Welt mehr ist, als was seine TV-Sender oder seine Hauszeitung ihm liefern.

Das Hämmern der Propaganda findet auch in den Qualitätszeitungen statt. Nur verbrämter, verdeckter, geschickter. Das hat nicht nur mit den Zeitungen und ihrem Profitstreben zu tun, sondern mit der geltenden gesellschaftlichen Wertstruktur. Da spielen die "Opfer" den "Tätern" in die Hände, da schliesst sich der Kreis der Niederhaltung. Schon früher haben Sklaven die Peitsche des Herrn, des masters, geleckt.

Die hohe Produktivität, die gesteigerte Geschwindigkeit zwingt zur Dauerproduktion von Neuem, was dazu führt, dass alles rasend schnell veraltet, weil sonst das konstruierte Neue nicht neu wäre. Dies hat Auswirkungen auf das Gedächtnis, das Wissen, das Erinnerungsvermögen, das Vergessen.

Die "Fachleute", die Experten, wissen das. Das Publikum muss es nicht wissen. Es ermöglicht dieses Regime dadurch, dass es ist, wie es ist.

Jede Untat, jedes Verbrechen, jede Grausligkeit taugt zu weiterem Geschäft. Es wird nicht nur über Folter amerikanischer Soldatinnen berichtet, es werden gleich, wie in einem billigen Pornofilm, die Bilder geliefert. Dabei geht es nicht um Information, sondern um Sensation, Kitzel, Geilheit. Allerdings kaschiert: im Namen der Information, der Wahrheit, des Berichts. Lüge wird zur Wahrheit, Kitzel zum "Gefühl" und der so erzeugte Taumel zum Bodensatz für weitere, erfolgreiche Politiken.

Das Phänomen ist nicht neu. Neu dünkt es vielleicht jenen, die unbedarft ungebildet sind. Wer ein bisschen in die Historie schaut, sieht Vorläufer, Traditionen, Erbschaften.

Für Deutschsprechende, auch oder gerade aus Österreich, würde eine (Re)Lektüre von Karl Kraus' "In dieser großen Zeit" oder "Untergang der Welt durch schwarze Magie" einiges aufzeigen und zu bedenken geben.

Der grosse Teil der Medienwelt ist eine des Dauerstresses, der künstlichen Dauerreizung. Reize verlieren aber über Dauer ihre Wirkung, weshalb die Stimulation permanent verstärkt werden muss. Die Dosis wird erhöht bis - ja bis wohin?

In den "Minima Moralia" von Adorno findet sich der Satz "Kollektivprojektionen des monströsen totalen Staates: man bereitet auf seine Schrecken sich vor durch die Gewöhnung an Gigantenbilder." Gegenwärtig werden die noch nicht Eingewöhnten Zeugen dieser monströsen Totalisierung.

Kolumne "Das Wort zum Sonntag", www.kultur-online.net, 26.09.04