Haimo L. Handl
Netcult - Kolumne im COMPUTER JOURNAL # 1-2/2001IT & das unscheinbare NeueFesttage sind Markierungen. Rückblick und Vorschau sind Widerspiegelungen von nachträglichen Einschätzungen, Bewertungen sowie Erwartungen. Auch in der sich rational gebenden heutigen Gesellschaft üben sich Experten als Propheten: das Geschäft der Voraussicht degeneriert aber allzumeist in ein billiges der stereotypen Vorschau. Liest man die Vorhersagen, was neu im Internet oder eCommerce sein wird, was auf uns zukommt, schleicht sich dem nicht Ungebildeten eine Peinlichkeit ein: die Fokussierung aufs Technische ist läppisch und offenbart die Beschränkung. Erinnerungen an die vulgäre Technikgläubigkeit der Fünfzigerjahre drängen sich auf. Vieles liest sich wie im damaligen "Hobby", dem Technikmagazin von damals, den heutigen Hochglanzprodukten vom "Geist" her nicht unähnlich. Wollten wir also vorhersagen, was kommen wird, würden wir unbefriedigende Antworten produzieren, wenn wir uns nur aufs Technische beschränkten. Interessanter sind die Blicke aufs Wesentliche. Was macht die Innovation aus, worin liegt das Neue? Welche Unterschiede zeigen sich, wie wirken sie sich aus? Technik ist Mittel, ist Funktion, ist Werkzeug und kein Selbstzweck. Das Neue liegt davor. Einige Konzepte davon sind: Ort vs. Ortlosigkeit, lineare Zeit vs. Gleichzeitigkeit, Original vs. Ununterscheidbarkeit . Das hat aber zwingend tiefgreifende Folgen und Konsequenzen hinsichtlich des Territorialdenkens, der damit verbundenen Rechtsverbindlichkeit, des Zeitbegriffs und der Erfahrung von Nähe, Ferne und Geschwindigkeit sowie der Bedeutung von Identität, Authentizität und Wahrheit. Das klingt hochtrabend und für einige vielleicht sogar "akademisch" weltfremd. Doch die ganz realen Rechtsstreitigkeiten und Konflikte gehen eben auf das Dilemma zurück, dass die neuen Konzepte, die die technischen Neuerungen insbesondere im Kommunikationsbereich nach sich zogen, mit alten Vorstellungen und Gewohnheiten, vor allem aber mit noch alten Rechtsstrukturen kollidieren. Das wirkt sich aus in Fragen der Besteuerung: problematisch wird nicht nur die Frage, welcher Staat wofür Steuern einheben darf, sondern wie er das wofür bewerkstelligt. Das zeigt sich weiters im Versuch der Durchsetzung nationaler Rechtsvorstellung (auch Ideologie und Moral) für Kommunikationsinhalte, die nicht mehr territorial beschränkbar und kontrollierbar sind (erinnern Sie sich an die Affäre der US-Firma Yahoo mit den französischen Behörden oder, als "östliches" Gegenbild die Zensurversuche der chinesischen Behörden). Es wirkt sich aus am Arbeitsmarkt. Zwar wird gegenwärtig noch altmodisch "real" operiert, z.B. durch den Import ausländischer Fachkräfte für den IT-Bereich, bald jedoch wird dies nicht mehr nötig sein: die Vernetzung wird es überflüssig machen, Ortswechsel vorzunehmen. Diese Überflüssigkeit gilt auch für Konferenzen. Hier wird jedoch aus sozialen Gründen am alten, teuren Modell der Konferenztouristik festgehalten: es kommt billiger, den Spitzenkräften und Managern aufreibende Reisen und Konferenzaufenthalte zuzubilligen, die immer auch einen real-sozialen Nebeneffekt haben, den keine IT ersetzen kann, was dann dazu führte, dass man andere Gratifikationen bieten müsste. Auch aus wirtschaftspolitischen Gründen wird diese Möglichkeit gebremst, weil spezifische Wirtschaftseinbrüche gegenwärtig nicht verkraftbar wären. Fälschung ist als solche nur im Vergleich mit dem Original feststellbar. Existiert kein Original, kann es keine Fälschung geben. Früher mussten diktatorische Regime noch aufwendig Dokumente retouchieren und Sätze tilgen. Immer bestand die Gefahr, dass Spuren sichtbar blieben. Heute stellt sich dieses Problem nicht mehr. Die Herstellung medialer Produkte erfolgt "spurlos". Weil es kein Original gibt, gibt es auch keine Kopien. Das wirkt sich dramatisch und eminent auf Recht, Politik und Geschichte aus. Es bedarf bestimmter neuer Merkmale, die die Authentizität eines Dokuments verbürgen. Im Geschäftsbereich, in der Werbung, in der Politik, in der Propaganda, in den Unterhaltungsmedien, im Wissenschafts- und Bildungsbetrieb hat dies Auswirkungen, die wachsen werden. Der Blick aufs Neue ist durchaus angebracht und notwendig. Aber das Blickfeld sollte über das naheliegende Technische hinausgehen, hinter das Vordergründige. Dort wird's nicht nur spannend, da ist es schon turbulent. |