Haimo L. Handl

Der Krieg ist zu Ende aber nicht vorbei

Der Irak-Krieg der Amerikaner und Briten ist zu Ende. Der andere Krieg geht weiter und neue sind in Planung. Es herrscht nicht Friede. Es ist Krieg.

Trotz aller Propaganda und versuchter Gängelung und Täuschung ist jenen, die nicht kollaborieren, klar, dass die Weltgemeinschaft, vertreten durch die Vereinten Nationen, und bisher mehr oder weniger schlecht "geregelt" nach einem "Völkerrecht", der eigentliche Verlierer ist. Gewinner sind die Rechtsbrecher. Gewinner ist das Faustrecht, die Macht des Stärkeren. Die Starken sind die USA und die mit ihr Alliierten. Gewinner sind die Rechtsbrecher, die Kriegstreiber, die Krieger.

Daran ändert auch nicht die Tatsache, dass das irakische Regime der Baath-Partei unter der Führung von Saddam Hussein selbst eines war, das Kriege anzettelte, Teile der eigenen Bevölkerung unterjochte und massakrierte. Ein Unrecht wird nie und nimmer durch ein anderes zu Recht.

Zudem war Husseins Regime denselben Kriegsparteien, die jetzt ohne jede internationale Deckung und Legitimation seitens der UNO den Krieg führten, noch vor nicht allzu langer Zeit wichtiger Partner im Krieg gegen den Iran. Sein Land war von diesen Parteien, die vordergründig von Frieden, Freiheit, Eierkuchen, Demokratie, und law and order quasseln, aufgerüstet worden. Seine Armee war nie wirklich stark; nach der Kapitulation 1991 sorgten die Auflagen der "Siegermächte" und der UNO dafür, dass der Wiedeaufbau verhindert wurde, was praktisch die Position des Diktators zementierte. Leidtragend war die Zivilbevölkerung, um deren Wohl es, glaubte man den Lügen der Propagandisten, es dem Westen ging und gehe.

Es geht nicht einmal primär um's Öl. Der Rohstoff spielt nur eine zweitrangige Ordnung, gemessen an den langfristigen politischen Zielen, am Hegemonialkonzept der einzigen Supermacht, die rücksichtslos ihre Macht ausspielt und Schritte setzt, die damals, während des Zweiten Weltkriegs, die Diktatoren Hitler und Stalin nicht zu setzen vermocht hatten: die Neuverteilung wird nicht nur angepeilt, sie wird durchgeführt.

Die Europäer sind großteils mit dabei. Oder sie kuschen. Großbritannien, wie die USA Gründungsmitglied der UNO, verletzt gemeinsam mit der Führungsmacht die Charta der UNO, in deren Namen sie vorgeben zu handeln und höhlen das wichtigste Instrument, das die Welt seit dem 2. WK hat, nachhaltigst aus.

Noch nie war es so stark und offen unternommen worden: Zwei ständige Mitglieder des Sicherheitsrats, zwei "Demokratien" brechen die Charta der UNO, brechen das Völkerrecht und beweisen, wie damals Hitler, dass Verträge nur Papier sind, dass das Eigentliche die Macht ist, welche der UNO fehlt, welche offensichtlich den anderen fehlt. Die USA haben die Macht und es sind genügend Regierungen zur Seite, die für einen kleinen Anteil an der Macht bzw. für erwartbare Gewinne alles tun. Wie Huren, die nur auf den Rebbach schauen.

Das alles wird garniert mit einer verlogenen Rhetorik, die dennoch von vielen geglaubt wird. Das eigentliche Drama ist nicht nur der Krieg und seine direkten Folgen und Auswirkungen, sondern der Rückschlag im internationalen Rechtswesen, wie ihn die Welt seit Bildung der UNO nicht erlebt hat. Und es ist kein Zufall, dass dieser Angriff, diese Verletzung, diese brutale Barbarei von sogenannten westlichen Demokratien, von der Leitmacht USA und ihren Kollaborateuren ausging. Die USA beweisen, dass Rechtsbruch und "Freibeuterei" durchaus mit einer sogenannt demokratischen Staatsform vereinbar sind, wie ja auch Israel, kriegsgeübt seit seiner Installierung, beweist, dass Ariertum (auserwähltes Volk), Rassismus und fortdauerende Menschenrechtsverletzung durchaus von einer Demokratie, der "einzigen ihm Nahen Osten", wie israelische Propagandisten nicht müde werden zu betonen, als Alltagspolitik durchgeführt werden können. Niemand stößt sich wirklich an Euphemismen; auch nicht daran, dass die höchst- und bestgerüstete Armee, spezialisiert im Nahkampf gegen Zivilisten, im Niederwalzen von Flüchtlingslagern, im Massakrieren von jugendlichen Demonstranten, die mit Steinen symbolisch gegen die Panzer der Okkupanten werfen, sich "IDF", Israel Defence Forces" nennen. Zynisch wird die Geschichte und Erinnerung instrumentalisiert; während in Europa um Rückgaben ehemaliger jüdischer Güter gerungen wird, oft und meist in Verletzung der herrschenden Rechtsordnungen (Verjährung), gehen die Enteignungen palästinensischer Ländereien, Häuser und Güter frisch und fröhlich weiter: die IDF hat ja auch Spezialisten für Caterpillars und gibt den Siedlern Militärschutz, damit sie nicht, wie damals die europäischen Puritaner, Angriffen der "Wilden" ausgesetzt sind.

All dies im Namen von Freiheit, Würde, Demokratie. Man braucht keine KZs bauen, keine eigenen Ghettos. Doch niemand wichtiger in den westlichen Medien wagt einen Vergleich vom damaligen Warschauer Ghettos mit dem Ghetto Gazastreifen oder den völlig kontrollierten Reservaten, eigentlich Bantustans herzustellen. Das wäre zu peinlich. Das wäre Antisemitismus. Was aber ist das für eine Politik, die nur militärisch, kriegerisch mit Hilfe und Deckung des Großen Bruders USA möglich ist? Und unter Duldung Europas?

Israel hat im jetzigen Konflikt eine Schlüsselstellung. Da es ja nicht, wie manche anfänglich glaubten, primär um's Öl geht, sollte die Antwort gefunden werden, worum es geht. Es geht um die Hegemonialpolitik der USA, das heißt, die vollständige Kontrolle des Nahen Ostens und des zentralasiatischen Raums. Letzteres wurde durch den Afghanistankrieg schon erfolgreich umgesetzt. Für den Nahen Osten nehmen die USA ein stärkeres Israel in Kauf, solange sie sicher sein können, die Kontrolle gegen abweichende Mächte halten zu können: was der Irak gegen den Iran nicht schaffte, sollte bald preisgünstiger möglich sein; der Druck, der jetzt auf Syrien und Nachbarstaaten ausübbar wird, sollte nach dieser Rechnung den USA und Israel bisher unmögliche Aktionsfelder öffnen.

Das ist erst der Anfang. Im Zuge der Globalisierung ist es der Leitmacht wichtig, Weichenstellungen für neue Kriege zu treffen, die genauso wie der vergangene, zu ihren Erfolgen führen.

Die EU absolviert gerade ihre nächste, große Erweiterung. Da ist es sehr hilfreich, militärische und politische Druck- und Kontrollmittel nicht nur parat, sondern funktionierend eingerichtet zu haben. Die NATO ist militärisch die hervorragendste Einrichtung zur Kontrolle und Energiebindung Europas. Deshalb sind die Quislinge und östlichen Anbiederer, die, wie besonders Polen, Tschechien, Ungarn und die baltischen Staaten zeigen, so willkommen: eine NATO mit solch treu Ergebenen lässt sich, im Verbund mit den spekulierenden Türken gut einsetzen gegen die "Altländer" bzw. die etwas abtrünnig gewordenen Deutschen und Franzosen.

Der Krieg gegen den Irak wird in diesem Lichte von ganz anderer Bedeutung. Es erstaunt, dass Russland bzw. viele arabische Staaten, denen die Konzeption und die zu erwartenden Konsequenzen nicht unbekannt sein können, dennoch mitmachten bzw. stille hielten.

Dieser Krieg war ein erstes, größeres Manöver. Manöver sind nie Selbstzweck. Sie sind immer zielgerichtet. Das Ziel der amerikanischen Politik und das ihrer Verbündeten und Vasallen ist größtmögliche Kontrolle bzw. eine neue Form von Weltherrschaft. Koste es was es wolle. Es kostet nie zuviel. Die globalisierte Wirtschaft beweist es. Der Ölmarkt beweist es.

Eine Erkenntnis ist besonders bitter und führt zu Erschrecken: wie leicht und schnell die Massen auch im "Westen" manipulierbar sind. Immerhin können die Mehrheiten in den USA, die den Parolen der Angstpropaganda folgten, nicht einfach als "dumm" abgetan werden. Das beweist, dass faschistoide Techniken einerseits und soziale Einstellungs- und Verhaltensmuster faschistoider Art andererseits auch in hochmodernen, westlichen Gesellschaften, 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, existieren, virulent sind und nur reaktiviert werden müssen! Welche Ironie, dass es diesmal im Land der Freiheit, in den USA durchexerziert wurde, und das Mutterland der Demokratie bei Fuß folgte! Welcher Skandal! Was für eine Schande! (Orwell's negative Utopie "1984" sah die Hauptgefahr nach dem Faschismus im Stalinismus. Ein Horror, dass in den Ländern der ehemaligen Antifaschisten jetzt diese alte Vision hochnotpeinlich aktuell erscheint...)

Wenn nicht Anstrengungen unternommen werden, konvertieren diese "unschuldigen", geänstigten Bevölkerung in aller Unschuld zum Mob, der alles, auch Genozide, wieder gut heißt. Und für die Opfer wird es kein Trost sein, dass Nachfahren ehemaliger Opfer ihre Täterschaft nicht als solche sehen bzw. die Angehörigen der Leitmacht sich von vornherein im Recht sehen als Vertreter der Freiheit und des Fortschritts.

Newspeak must not reign!

Publiziert in: BRUCHLINIEN 7 - Mai/Juni 2003:10-11