Haimo L. Handl

Irak, der Westen und der Krieg


Wenn Gefahr droht, muss ihr begegnet werden. Auch wer den Krieg nicht will, kann nicht umhin, unter gewissen Bedingungen und Umständen den Krieg als letzte Möglichkeit der Verteidigung zu wählen. Gegen Hitler wurde zu lange zugewartet; der Krieg dauerte deshalb länger und kostete mehr Opfer, leibliche und materielle, als wenn im frühesten Zeitpunkt, nach Erkennen der realen, konkreten Gefahr, gehandelt worden wäre.

Heute machen uns westliche, vor allem US-amerikanische Politiker weis, vom Irak gehe eine Bedrohung aus, der nur durch einen Präventivkrieg beizukommen sei. Dies wird behauptet, obwohl nach dem Golfkrieg, der aufgrund des irakischen Überfalls auf Kuwait von den USA initiiert und von der UNO sanktioniert wurde, der Irak kapitulierte und in erzwungener Hinnahme der Teilaufgabe seiner Souveränität seitdem seine Lufthoheit in weiten Teilen seines nördlichen und südliches Staatsgebietes an die Amerikaner und Briten abtreten musste. Nicht nur das, das damals vereinbarte Entwaffnungsprogramm wurde rigoros durchgeführt. Die permanente Satellitenüberwachung garantierte, dass keine grössere Bewegung im Irak unbemerkt bleiben würde. Damit wurde verhindert, dass neue Fabriken errichtet oder grössere Verbände geheim verschoben werden könnten. Über die Erfüllung dieses Entwaffnungsprogramms wurden Berichte der UNO übergeben als auch den "Kriegsparteien".

Auch wenn der Irak irgendwo noch kleiner Mengen an Massenvernichtungswaffen hätte, könnte er sie nicht einsetzen, weil dazu die Infrastruktur fehlt wie auch die einzelnen Träger (Raketen). Gebunkerte Munition oder Gift ist ohne "Vertriebsmittel" nicht realistisch einsetzbar. Zudem wissen die USA als wichtigster und grösster Waffenproduzent und -verkäufer, welche Länder welche Waffen haben. Die Geheimdienste liefern darüber hinaus die Daten über "Verschiebungen". Der Grossteil der vernichteten Waffen war vor dem Golfkrieg dem "Allianzpartner" Irak verkauft und geliefert worden. Es ist ja nicht so lange her, da war der Irak, da war Saddam Hussein ein Verbündeter der USA.

Die Mär von der irakischen Gefahr ist eine Lüge, ein willkommener Vorwand für hegemonialpolitische Schritte der USA. Im Verein mit Israel geht es darum, den Nahostraum neu zu verteilen und für zukünftige Szenarien "nutzbar" zu machen.

Allein dass der Krieg so rasch angepeilt wird bzw. mit höchster Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden wird, beweist, dass mit keiner ernsten Abwehr seitens des Irak zu rechnen ist. Im Falle Nordkorea, das glaubhafter seine Abwehr deutlich macht, und dessen Drohung ernster ist, beweist ja das Bagatellisieren, dass die USA sehr wohl die "ernste Gefahr" anders, nämlich realistisch einschätzen und es, derzeit zumindest noch, nicht wagen, dort, in Nachbarschaft zu China, einen Krieg vom Zaun zu brechen. Dort haben sie allerdings auch nicht das primäre Hegemonialziel, sondern nur ein sekundäres, das durch das gleichgeschaltete Südkorea und das früher mit Atombomben niedergemachte Japan schon markiert ist.

Der zweifache amerikanische Atombombeneinsatz sichert der westlichen Führermacht den Nimbus, als einziges Land bisher die höchstindustrialisierte Tötungsform eingesetzt zu haben. Das Massentöten mittels Atomwaffen ist durchorganisierter, industrialisierter, abstrakter, als das im Vergleich "altmodische" Töten in Gaskammern.

Im gegenwärtigen Konflikt haben nicht nur die USA wiederholt gedroht, neuerlich von Atomwaffen Gebrauch zu machen, sondern auch Israel. Israel hat vor Jahren, in Verletzung geltenden Völkerrechts, irakische Atomreaktoren bombardiert. Israel betont(e), es wolle die einzige Atommacht in Nahost sein und bleiben. Die Drohung Israels ist daher ernster und gefährlicher, als die vermeintliche Gefahr seitens eines entwaffneten Iraks.

Die Kriegsziele der Leitmacht als auch Israels sind dagegen plausibel. Der Irak hätte durch einen Krieg nichts zu gewinnen. Die Lektion vom letzten Golfkrieg ist bitter und kostete viele, viele Menschenleben. Die noch immer geltenden Sanktionen halten das Land nieder und nehmen das Hinsiechen weiter Teile der Zivilbevölkerung in Kauf.

Die USA, 5 Prozent der Weltbevölkerung, verbrauchen 25 Prozent der Weltenergieproduktion! Die USA, der weltgrösste Verschmutzer, haben sich auch geweigert, das Kyoto Klimaabkommen zu unterzeichnen. Die kurzfristigen Profitinteressen der amerikanischen Firmen gelten mehr, als das Abwenden einer wirklichen Gefahr, deren eintreten noch nicht präzise datiert werden kann.

Die USA wollen jedoch nicht nur Öl, sie wollen die Kontrolle über Landgebiete, die ihnen die mächtigste Vormachtstellung in der künftigen Weltentwicklung sichern. Die Rolle Israels als Speerspitze in Nahost ist hier besonders deutlich. Israel definiert sich seit seiner Gründung nur am, im und durch Krieg. Dieses Land, im Verein mit den USA, will Krieg und macht Krieg. Israel, ein Staat durch lange, grausame Terrorakte erzwungen, hält sich nur mit amerikanischem Kapital und Waffen stark. Ohne die amerikanische Hilfe wäre es schon längst bankrott gegangen. Kein Staat der Welt hat soviel ausländische Hilfe erhalten wie Israel. Sein Entwicklungsstand erklärt sich primär nicht aus eigener Leistung, sondern hauptsächlich auf die ausländische Unterstützung. Dort, wo die Unterstützung nicht direkt erfolgt, wird kriegerisch oder gewaltsam geraubt, besonders das Rohgut Wasser. Israel hat weder genügend Wasser, noch Öl. Einige arabische Länder haben beides.

Die USA führten einen Krieg gegen Afghanistan. Auslöser waren die Terrorakte in den USA vom September 2001. Zwar ist immer noch nicht bewiesen, wer die Hintermänner waren, aber man gibt sich sicher, es war nicht nur Bin Laden, nicht nur Al Quaida, sondern auch die Taliban, "Schläfer" islamistischer Extremisten im Westen etc. Der Krieg wurde aufwendig geführt und erbrachte nicht den eigentlichen Erfolg. Vielleicht doch? Würde man sich an das vordergründige Kriegsziel, Rache und Erfassen des "gefährlichsten Mannes" der Welt, halten, sieht die Sache anders aus, als wenn man andere Szenarien betrachtet. Die USA haben es in der Neuverteilung der Machteinflussgebiete geschafft, einen weiteren Keil ins geschwächte Russland und seine Anrainerstaaten zu treiben. Das Erbe der Sowjetunion ist zu kostbar, als dass sie es den Nachfolgestaaten und Russland alleine überlassen wollen. Gegenwärtig scheinen die Amerikaner erfolgreich mit der neuen Verunsicherung und indirekten Kriegsvorbereitung in Zentralasien.

Die Kriegstätigkeit in Nahost ist nicht losgelöst von der in Zentralasien zu sehen. Ebensowenig die Einbindung der wichtigsten europäischen Staaten, direkt und indirekt über die NATO. Die NATO hat sich nach kurzer Krise (1989) nicht nur erholt, sondern ist erstarkt und funktioniert besser als zuvor: das günstigste Mittel der USA zur Kontrolle der Europäer. Immerhin sind die Aufgaben und Verantwortung ungleich aufgeteilt. Die NATO ist schon längst keine Verteidigungseinrichtung mehr (das alte Konzept der Abschreckung ist obsolet geworden). Die NATO wurde zur Interventionsarmee. Für wen? Sicher nicht für die NATO, sondern für Länder, die die NATO tragen. Und da vor allem für die Leitmacht, den Grossen Bruder, der anschafft und befiehlt. Und der unilateral macht, was er will. Die Kollaboration Europas, ironischerweise wieder einmal durch Sozialdemokraten wie Tony Blair besonders widerlich unter Beweis gestellt, sichert den USA die Kriegspolitik, Ausbeutung. Die durch die Globalisierung programmierten Konflikte werden mit der NATO und amerikanischen "Projektgemeinschaften" effizient gelöst werden. Krieg ist nicht die "letzte" Rationale, sondern der programmatische Ausgangspunkt. Darin liegt das Verbrechen des sich "frei" nennenden Westens unter der Führerschaft der Führermacht USA.

Wien, 3.2.03