Aus medienrechtlichen Gründen sind nur einige Absätze aus dem Beitrag zitiert, der voll in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG vom 08.03.00 nachgelesen werden kann.

Wieder einmal verraten

Das schwierige Kapitel der europäisch-arabischen Beziehungen

Von Wolfgang Köhler

KAIRO, 7. März

Die Araber fühlen sich wieder einmal verraten, dieses Mal von einem Freund, vielleicht ihrem letzten und womöglich einzigen im Westen, Frankreich. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde. Diese Redensart mag vielen Arabern wieder ein­mal in den Sinn gekommen sein, seitdem der französische Ministerpräsident Jospin bei seinem Besuch Israels über die ,,terroristischen" Aktivitäten der Hizbullah-Miliz im Kampf gegen die israelische Besatzungsmacht im Libanon hergezogen ist und Verständnis geäußert hat für die israelischen Angriffe auf zivile Ziele im Libanon.

Ägyptische Kommentatoren zogen in ihren Vorwürfen gegen Jospin Parallelen zwischen der deutschen Besatzung Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs und der Besatzung arabischen Territoriums durch Israel. Wie der französische Ministerpräsident wohl die Operationen des Widerstandes unter de Gaulle gegen die deutsche Besatzung und die Agentenregierung von Vichy beschreiben wolle, fragte Said Sunbul, einer der angesehensten Kommentatoren der ägyptischen Presse, in der Zeitung "al Achbar" und gab sich selbst die Antwort: Falls er diesen Widerstand als eine Terroristenbewegung ansehe, habe er das volle Recht, den libanesischen Widerstand als terroristischen Akt zu verurteilen. Alle Franzosen betrachteten de Gaulles Kampf gegen die deutsche Besatzung als eine nationale Befreiungsbewegung, bemerkte Sunbul und vertrat die Auffassung, die nationale Widerstandsbewegung im Südlibanon unterscheide sich nicht von irgendeiner nationalen Bewegung, die gegen die ausländische Besatzung kämpfe. Die Parallele zwischen dem libanesischen Widerstand gegen die israelische Besatzung und dem französischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung hat auch der libanesische Ministerpräsident al Huss gezogen.

In seine Schelte Jospins hat der amerikanisch-palästinensische Literaturwissenschaftler Edward Said, unter den Arabern einer der schärfsten Kritiker sowohl Israels und der Vereinigten Staaten wie arabischer Regime, auch Arafat als Erfüllungsgehilfen israelischer Ziele einbezogen, der sich für den teilweise gewaltsamen Protest palästinensischer Studenten gegen Jospin gleich mehrfach entschuldigt hatte.

Said beklagt den, wie er sagt, "falschen Frieden", der für die Palästinenser weitere Landnahmen und Zerstörung von Häusern, außerdem Korruption, politische Gefangene und Folterungen, Despotie und kein wirklich befreites Land gebracht hätte. Er verwies auf den Studentenprotest an der Amerikanischen Universität von Beirut gegen die amerikanische Politik, die Israels Bombardierungen ziviler Ziele unterstützt habe, "ein Verbrechen, strafbar nach der 4. Genfer Konvention".

Ebenso wie Said kritisierte die halboffizielle ägyptische Zeitung "al Ahram" auch die politische Linke im Westen, die - eine "seltsame Sdache", wie Said befand - "im Grund blind" gegenüber all dem gewesen sei, was die Israelis den Palästinensern angetan hätten. Die Sprachrohre dieser Bewegung hätten die irreführende Ansicht kultiviert, der Zionismus sei eine sozialistische und fortschrittliche Bewegung. Im Gegenteil, selbst israelische Historiker hätten inzwischen nachgewiesen, dass der Zionismus äußerst antisozialistisch und dem Kapitalismus zugeneigt gewesen sei, solange dies den jüdischen Zielen in Palästina diente. Den Kibbuz. das jüdische ,,Wehrdorf" in Palästina, nannte Said eine ,,Art schöne Aufmachung eines sozialistischen Zionismus". Jospins Erklärungen wahrend seines Aufenthalts in Israel geben nach Ansicht von ,,al Ahram" den Mythos wieder, dem viele europäische Sozialisten bis heute anhängen: dass Israel eine Oase der Demokratie inmitten einer Wüste der Tyrannei sei.

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