Zur Kritik der "print" Grafiktriennale Wien 2007

Haimo L. Handl, 24.9.2007

Auf meine Kritik vom 5.9.2007 habe ich zwei Repliken erhalten: Helga Cmelka schrieb am 10.9.2007 eine Antwort; Karlheinz Pichler war auf Anfrage von mir bereit, einen Kommentar als Antwort zu liefern (14.9.2007). In der Zwischenzeit führte ich am 23.9.2007 mit dem Kurator Georg Lebzelter im Künstlerhaus Wien ein Gespräch. Durch ein technisches Gebrechen ist meine Tonaufzeichnung nicht verwendbar, weshalb das Gespräch nicht wie vorgehabt im ZITIG-Podcast erscheinen kann, sondern indirekt Eingang in diese meine Replik findet.

Georg Lebzelter hatte zu diesem Gespräch eingeladen, um einige Fragen zu klären. Das gelang. Die Aspekte der "Freisetzung", die ich polemisch weiterführte, konnten versachlicht werden im Verständnis von Paul Klee, dessen Zitat die Grundlage Lebzelters Aussage bildete.

Auch seine Bemerkung über die Präsentation im Künstlerhaus (ohne Rahmen, direkt, unmittelbar sinnlich erfahrbar) wurde klarer, weil sie sich, was ich nicht wusste, auf den Unterschied bezog, ob Druckwerke hinter Glas gehängt werden oder ungerahmt offen, wodurch Schichten und Druckeigenheiten eher und besser erkennbar werden.

Geärgert hatte Lebzelter auch, wie ich die Worte von Prof. Witold Skulicz interpretierte. Dieser sei alles andere als in einem Sowjetnaheverhältnis (gewesen). Und dann sei es nur eine Grussadresse, die ich spitzfindig ausbeute. Ich verneinte. Ich kenne Prof. Skulicz nicht. Ich kenne den Hintergrund nicht. Meine Anmerkung richtet sich nicht gegen seine Person. Ich halte mich an den Text. Und der spricht für mich eine Sprache, die zu meinem Eindruck, meiner Interpretation führte.

Vielleicht habe ich eine Sensibilität entwickelt, die andern als Überempfindlichkeit erscheinen mag, aber sie ist nicht grundlos oder Ausdruck einer Marotte. Ich kenne viele, viele Texte in Sprachen, die mich besonders aufhorchen lassen. Die Zeiten des sozialistischen Realismus sind noch nicht überwundene Geschichte. Wohl haben sich politische Konstellationen geändert, aber in den "Filosofien" schwimmt noch viel, das sich derart Ausdruck verleiht. Auf der anderen Seite blendet vielfach ein Geschwätz, für welches nicht nur Leute wie Roger M. Buergel zur Trademark wurden, sondern worin sich auch viele andere Ausstellungsmacher, Vermittler und Autoren austoben.

Meine Kritik war kein Bericht und keine Besprechung. Ich nahm mir die Freiheit, ein Hauptanliegen zu kommunizieren und nicht "objektiv" oder "gerecht" zu sein. Das Hauptanliegen trat mir in der Art der Veranstaltung und den Worten entgegen, womit die Sammlung der Werke vermittelt wurde.

Damit komme ich gleich zum nächsten Aspekt: Weshalb ich die Eröffnung ins Blickfeld nehme, die Katalogtexte und nicht die einzelnen Objekte. Erstens gilt primär die Ausstellung, die sich natürlich aus den Werken zusammensetzt, aber als Veranstaltung, als Event Aufmerksamkeit erregt. Der betonte Hinweis auf die einzelnen Werke als Primäres erscheint mir gerade für eine Triennale oder ähnliche Veranstaltung etwas weltfremd oder irrig. Denn ohne "Event" wäre die Aufmerksamkeit nicht gegeben, würden auch die Gelder nicht gefunden werden. Es geht weniger um die einzelnen Werke, als um die Veranstaltung, die Markierung eines Marktplatzes im Kunstgeschäft. Nicht zuletzt die Kooperation Krakaus mit anderen Städten bzw. Kunsteinrichtungen beweist, wie wichtig die Frage der Beteiligung und Ausführung als Grossereignis geworden ist.

Dass ich Eigenheiten wie "Ehrenschutz" oder "Komitees" erwähne und kritisiere, erscheint mir nicht nur nicht unpassend, sondern wichtig. Wollte ich der mir entgegneten Logik folgen, wäre nie und nirgends so eine Kritik möglich, weil es immer plausible, sachliche Gründe dafür geben mag, sogenannte "Sachzwänge". Aber dem nicht hinterfragend zu folgen kritisiere ich eben. Es beweist ein opportunes Einfügen in Gegebenheiten, die, würden sie nie widersprochen werden, immer weiterbestünden, immer weiter gepflegt würden, bis andere Ereignisse andere politische, gesellschaftliche Bedingungen erzeugten, wo dann solche Praxen auch für die Braven als unnötig erschienen.

Auch hier klingen mir Sozialpraxen aus früheren oder anderen Gesellschaften an, die ich missen möchte. Das Biedermeier sollte vorbei sein, ebenso feudalistische Zeiten bzw. neue oligarchische sollten wir vermeiden. Wenn Verantwortliche als potentielle Finanziers nicht anders zu bewegen sind, als durch solche Sozialformen und Symboliken, dann sollten die Veranstalter dankbar sein, dass Aussenstehende das herausheben und kritisieren. (Gerade Künstler sollten empfindlich sein hinsichtlich symbolischer Politiken; der Soziologe Pierre Bourdieu war's zumindest.)

Interessant scheint mir, dass niemand auf den Kern meiner Kritik einging, der ein zweigeteilter war: "Viel (Selbst)Täuschung. Viel Pseudo." Dem folgte zum Schluss meines Beitrags eine klare Gedankenausführung zum Problem des Originals, der Reproduktion und des Marktes. Meine negative Kritik machte sich daran fest, dass von dieser Problematik nichts Adäquates zu sehen war.

Nicht, dass ich verlangte oder erwartete, dass Grafiken oder der Druckgrafik zugeordnete Artefakte das behandeln müssten. Kultürlich nicht. Aber im Katalog ist davon nichts zu lesen. Vielleicht war einiges davon im Symposium zu hören. Aber wenn die Ausführungen dort sich auf dem Niveau des Beitrags "Further in printmaking - digital city" von Chang-Soo Kim (Um:druck 5/September 2007:17-18) hielten, wäre ein weiterer Beleg für eine Auseinandersetzung gegeben, die zwar wenig Richtiges anführt, meist aber "schwärmt" und es nicht vermag, konsequent die Probleme zu Ende zu denken bzw. entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Damit verkommt das Referat zu einem Gerede, das sich Widersprüchlichkeiten oder Plattheiten gestattet. Schade.

Im Gegenteil: es wird viel von Demokratisierung durch die demokratische Druckgrafik gesprochen, von der unbedingten Notwendigkeit, die Welt, soweit als möglich, mit Druckgrafiken zu versorgen usw. (z.B. Gus Mazzocca in seinem Symposiumsbeitrag).

Ich verstehe ja, dass Künstler ihre Produkte verkaufen und absetzen wollen. Aber daraus ein verbindliches demokratisches Programm ableiten? Gleichzeitig wurde aber nicht problematisiert, wie diese demokratische Freiheit sich mit den Eigentumsrechten verträgt, mit den Wünschen nach Tantiemen usw. Was in der Musikindustrie wegen der technischen Neuerungen zu heftigen Debatten führte und zur politischen Veränderung des Begriffs vom "Privaten", insbesondere hinsichtlich Lektüre und Kopie, nur um profitorientiert den Gewinn zu sichern, wird hier nicht einmal erwähnt. Das nenne ich dann eben Geschwätz oder Schwärmerei.

So eine Veranstaltung hat ihr Gutes. Sie aktiviert. Auch Zeitschriften. Im erwähnten Um:druck ist viel über die Triennale zu lesen. Ich darf auch von "Druckgraphik ohne Grenzen" lesen, was mich schmerzt, weil das grenzenlose Gerde vom Grenzenlosen einfach nicht mehr auszuhalten ist. Immerhin wird hier theoretisch etwas gefordert, das eine Diskussion provozieren müsste: Hier wird Wahrhaftigkeit mit Technik bzw. höchstentwickeltem Standard gekoppelt, was vielleicht für Kunstfilosofen so simpel ist, nicht aber für andere. Es geht, schreibt Chiara Giorgetti, um "Kreation neuer, wahrhafter Bilder unter professioneller Nutzung aller technischen Möglichkeiten". Und sie gibt noch eins drauf: "In der zeitgenössischen Kunst mit ihrer wachsenden Informationsdichte müssen sich KünstlerInnen, die wahrhaftig und authentisch arbeiten wollen, daran orientieren, wie Chuck Close, William Kentridge, Sol LeWitt, aber auch Richard Hamilton Druckmethoden auswählen und anwenden, wie Jake und Dinos Chapman ihre Radierungen realisieren, wie Kiki Smith ihre Drucke herstellt. Nur an diesen Beispielen kann man lernen, wie Druckgraphik als lebendige Kunst überleben kann und nicht zum puren Handwerk verkommt."

Würden solche Worte ernst genommen bzw. gelesen, was offensichtlich nicht der Fall ist, müssten heftige Debatten stattfinden. Finden aber nicht statt. Sonst gäbe es nicht die vielen Biennalen und Triennalen mit den gewohnten Adressen. Und Bildern.

Wir leben in Zeiten, in denen nicht weiter demokratisiert wird, sondern, im Gegenteil, wo das Profitdenken Politiken bestimmt, wie nie zuvor, in denen hart erworbene Bürgerrechte unterminiert und aufgehoben werden, nicht zuletzt durch extreme Deutung des Copy Rights und versuchter Durchsetzungen des Kopierschutzes. Und da lese oder höre ich von weltumspannender, demokratischer Computergrafik etc., die dann doch konventionell nicht frei am Monitor übers Netz kommuniziert wird, sondern in Museen...