Beschützende Werkstätte GEISTERBAHN für Saisonarbeiter

Haimo L. Handl, 19.10.1991

In diesem ereignisreichen Jahr 1991 wollten auch Kunstmanager und ihre Mitwirkenden, unter anderem auch Künstler, nicht abseits stehen und, dem Trend entsprechend, zeigen, was sie und Kunst können. Es ging nicht um Kunstkönnen oder gekonnte Kunst, es ging um "marginale Positionen" der sogenannten Jungen, um "Schreckenskunst" und "Kunstlandschaft" (Topographie). Weil es um soviel ging ist es nicht verwunderlich, daß ein wichtiger Teil im Kommunikationsmodell KUNST den Überblick verlor, außer Kontrolle geriet (Out of control): die Vermittler, Deuter, Exegeten, "Besprecher" und "Anmerker". Vielleicht schließt sich aber gerade mit deren Unvermögen und Blasiertheit der vermeintliche Kreis: es ist alles nicht so ernst gemeint und der Aufregung nicht wert.

Künstler der Jungen Szene, nicht unbedingt junge, zeigen Werke, die, wie eine der Kuratorinnen meint, "wieder als Erkenntnismittel" dienen und "marginale Positionen" markieren. Diese Marginalität war also Show der Sezession (Junge Szene 91). Für jene, die überall in allem einen Trend herauslesen wollen, zeigte sich vielleicht, daß es keinen solchen gibt, außer man faßt den biedermeierischen Rückzug ins Private als Renaissance auf, bewertet die Mockierungen über den Ausstellungsbetrieb als originär und findet die Reduktion von Kommunikation auf sich selbst einen Fortschritt, weil eh nichts mehr mitzuteilen ist, weshalb die Selbstdarstellung als Botschaftssubstitut genügt. Daß die Kuratorin darin eine Radikalität erblickt, belegt die innige Nähe zu den verpflichteten Künstlern und die gemeinsame, verschobene Sicht dieser Relativierung: was soll hier radikal oder gar "radikaler" sein? Eine Verwechslung wahrscheinlich.

In der Provinz stellt sich erneut der Versuch der Banausen unter Beweis, urban, moderner als modern, postmodern, zu sein: die ars electronica 1991 beglückte Organisatoren, Macher, Vermittler und Künstler. Und das Publikum. Eine Gaudi wars, für manche. Man war auf der Höhe der Zeit. Unbefriedigt vom allzu kurzen Golfkrieg, auf den die wenigen, aber schnellen Bilder so richtig geil gemacht hatten, konnte man von dem lokalen Kriegereien im Süden unseres Landes nicht genug kriegen. Es fehlte die Weltdimension. Tschernobyl war weit weg und nur zur Ereigniszeit schreckend: die Misere mit der Radioaktivität liegt ja darin, daß man sie nicht sehen und riechen kann. Damit läßt sich nicht viel vermitteln. Also muß der Horror über Resultate, Opfer, gezeigt werden. Ein schwacher Ersatz, gewiß.

Während die Filmemacher als klügere Trendaufspürer und -setter vom Horror-Gewalt-Genre rüberwechselten zur neuen, privaten Beschaulichkeit, entdecken manche Manager und ihre Künstler das Thema als neu und verkaufen es, geschickt beworben, als Zeitprodukt.

Wie in der Geisterbahn fühlt sich einer, der noch denken kann. Verblüfft reibt man sich die Augen ob der Déjà-vu-Erlebnisse und wundert sich über die Etikettierungen.

Out of control, so das Thema, soll wieder einmal "widerspiegeln". Die Orientierung an der Katastrophe, das falsche Spiel damit, die Verpackung der Lüge als Wahrheit, Kalkül als genuine, authentische Intention disqualifiziert das Unternehmen und reiht es ein in die typischen, unangenehmen Operationen einer wiffigen Kulturindustrie, die jeden, der nicht sofort widerspricht, zum Kollaborateur macht.

Das Überwerten von Form über Inhalt, die Ausrichtung auf Technik und Erfüllung technokratischer Träume als Ersatz für denkbare Utopien, die völlige Entsprechung industriell gesetzter Normen und Vorgaben, auch in ihrer scheinbaren Durchbrechung, weist das bombastisch angekündigte Unterfangen als sein Gegenteil aus: IN CONTROL müßte es heißen: hier schwingt sich kein Gedanke über die gezogenen Grenzen, hier spricht niemand eine Widerrede, hier üben sich alle im Spiel auf der Spielwiese. Die Verwechslung gelingt scheinbar, weil so getan wird, als breche man Spielregeln, als fände man Neues, als öffne man Sichten und Perspektiven: aber es vollzieht sich alles auf abgestecktem Terrain, in kontrolliertem Feld, ganz ähnlich wie für die "echten" Kriegsmacher, die noch bessere, teuere elektronische Mittel für ihr "Spiel" zur Verfügung haben.

Der Zynismus ist verletzend, zumindest für jene, die noch nicht gleichgeschaltet und abgestumpft dem Medienbrei sich ergaben.

Da interpretiert ein Kunstreporter die wiederholte Aktion eines Österreichers aus München mit den programmatischen, dennoch falschen Sätzen: "Aggression als Postulat fürs Unmittelbare der Kunst." Hat er, hat der Aggressor je nachgedacht, was es mit Unmittelbarkeit auf sich hat? Wie unvermittelt kann die Vermittlung sein, als welche Kommunikation immer auftritt? Was bedeutete es, wenn Kunst unmittelbar wäre? Könnte sie ein geschaffener, intentierter Artefakt sein? Worauf referierte sie? Müßte sie selbstbezogen sein? Worin läge dann die Bedeutung und wie wäre diese Unmittelbarkeit mitteilbar?

Vielleicht rührt die Verwechslung, das Mißverstehen aus dem spezifischen Verständnis von Kunst und Kommunikation?

Kunst im öffentlichen Raum (Wiens), Topographie, als Kunst für ein (anderes) Publikum, das die Täuschung fortsetzt und die Linzer Geisterbahn mit ihren Schreckensbildern austauscht mit Stadtkulissen und Botschaften, die so tun, als wären sie anders, obwohl sie es nicht sind. Nicht so anmaßend wie in Linz, aber dennoch täuschend: vor allem darin, daß ein Ausbruch aus Reservaten vorgemacht wird, daß ein Mitwirken neuer Qualität intendiert sei, während es um handelndes Eingreifen als echte Mitwirkung nicht oder nie gehen kann und darf, sondern höchstens um Wahrnehmungsreaktionen. Was daran im wesentlichen anders oder neu sein soll gegenüber regulären Kunstvermittlungen bleibt offen.

So unterschiedlich die drei Kunstereignnisse sein mögen, auf eines weisen sie hin: es gibt nichts zu sagen, und das wird kaschiert in einer Ersatz- und Pseudobotschaft. Das "Als ob" wird revitalisiert und sein Abklatsch auf den Markt geworfen; der Konsument darf sich frei fühlen, kreativ, wählerisch oder sonstwie, ganz dem Werbejargon entsprechend.