Verdichtungen

Haimo L. Handl, 29.04.1998


Fred Bachlehners Werke verführen den unbedarften Betrachter leicht dazu, den Blick auf der Oberfläche zu belassen und sich zu täuschen, ja zu enttäuschen, weil damit die komplexe Überstruktur mit ihren vielfachen Substrukturen übersehen würde und das Resultat des bloßen Oberflächenblicks als inadäquater leicht zu vorschnellen, irrigen Typisierungen führte.

Eine dieser falschen Typisierungen wäre die Zuordnung zum "action painting". Dem genaueren Betrachter zeigt sich allerdings rasch die völlig andere Position: hier handelt es sich nicht um Eruptionen, sondern um hochkomplexe, konzipierte, mehrlagige "Schicht-Arbeit", deren Resultat als Reduktion und Verdichtung vor uns hängt.

Eine andere Verkennung wäre die Gleichsetzung mit standardisierten Formen und ihrer typischen Produktionsweise, ein Mißverstehen als Ornament oder Dekor, eine Analogie zum Raster oder Muster, ähnlich dem von Tapeten.

Stimuliert vom Studium der Sinologie befaßte sich Bachlehner vor Jahren eingehend mit dem chinesischen Schriftsystem, dessen kaligraphische, piktografische Zeichenhaftigkeit ihn faszinierte. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt deutliche Spuren dieses Einflusses, ohne daß Bachlehners Darstellungsweise sich allerdings auf Schriftzeichen reduzieren ließe.

Wie spontan, einzigartig, zugefallen oder fremd der "zündende Funke" der Ursprungsidee auch gewesen sein mag, er führte zu einer Konzeption und fand nicht seinen unmittelbaren eruptiven Ausdruck im Bild. Bachlehners Arbeit kann hier leicht mit der eines Architekten verglichen werden, dessen Kernidee essentiell die Grundlage des Werkes ist, dieses aber, damit es geschaffen werden kann, Form gewinnen kann, eines ausgeklügelten Konzeptes, eines Plans bedarf, der dann in peniblen, langwierigen Arbeitsschritten Gestalt gewinnt und schließlich zum Endresultat, dem Artefakt, führt.

Der Reiz des Bruchs mit üblichen Erwartungshaltungen ist ein Nebenprodukt, ein Begleiteffekt und nicht konstituierend für die Arbeit. Für den Betrachter allerdings zeigt sich eine Verführung: entsprechend den durch die Kultursozialisation eingeübten Seh- und Interpretationsweisen kann es einen danach drängen, in den Bildern von Bachlehner vorab oder vor allem bestimmte Ähnlichkeiten oder Entsprechungen zu sehen, zu erkennen. Erst allmählich zeigt sich, daß der Künstler sich der direkten Botschaft enthielt, daß keine Symbolik transportiert werden soll. Trotzdem zeigen die Bilder nicht nur Formen.

Es wäre eine zu leichte, semantische Lösung zu sagen, hier seien die Formen der Inhalt. Die Formen beinhalten ein über sie Hinausweisendes, wenn es sich auch der gewohnten Dechiffrierung verschließt, wenn es rätselhaft bleibt und unsicher, worum es sich handeln könnte. Auf einer Metaebene sagt uns das, daß es nicht um direkte Mitteilung geht, aber um Ausdruck von Werden, von Prozessen, die in verschiedenen Stadien zeichenhaft fixiert worden sind und nun Bild geben. Materialisation von anschaulichem Denken, das von uns in begriffliches übersetzt wird, damit wir mit ihm umgehen können. So, wie wir auf einer Metaebene die Bewegung als Symbolik fürs Auge sehen, so bieteten sich diese Zeichenkomplexe als Folie für Anschauung, ja auch Meditation. Weil aber das Denken so nach Begriffen ruft und uns immer wieder zwingt in bekannten Bahnen zu weilen, stellen die Resultate solch anschaulichen Denkens, das über die erkennbare, konventionalisierte Zeichenwelt hinausragt, eine Herausforderung dar. Zwei Phänomene werden damit schlagartig deutlich, wieder deutlich: Das Neue mit Mitteln des Alten erkennen und erfassen, das Alte wieder wie neue sehen können.

Nietzsche erkannte hellsichtig, daß "verstehen" heißt, "etwas Neues ausdrücken können in der Sprache von etwas Altem". Und als schier unerreichbare Entwicklung "innerer Erfahrung" stellte er das Vermögen hin, "einen Text als Text ablesen zu können, ohne eine Interpretation dazwischen zu mengen". Wir wissen wie er es wußte, daß dies nicht möglich ist. Doch dieser Gedanke erst zeigt auf, worauf Denken sich einzulassen vermag! Zu diesem Abenteuer Denken paßt auch die Sicht Nietzsches über Originalität:

"Was ist Originalität? Etwas sehen, das noch keinen Namen trägt, noch nicht genannt werden kann, ob es gleich vor Aller Augen liegt. Wie die Menschen gewöhnlich sind, macht ihnen erst der Name ein Ding überhaupt sichtbar. - Die Originalen sind zumeist auch die Namengeber gewesen."

Bachlehners Bilder sind so als Findungen oder Erkennungen zu sehen, zu lesen, die vom Betrachter erst benannt werden müssen im Akt des Erkennens. Deshalb der eingangs gemachte Hinweis auf die Möglichkeit leichter Täuschung: die Gleichsetzung mit Ähnlichem liegt so nahe, daß man mit dem Begriff, Etikett sich auch die mögliche andere Sicht versperrt. Bachlehners Bilder als Herausforderung ansehen kann helfen, im Gewohnten Neues zu sehen, weil es neu ersehen wird: das Ausersehen verwandelt das Alltägliche. Das Wissen, daß es sich um Artefakte handelt und eben nicht um Serienprodukte, mag helfen, auch ohne Symbolgehalt die möglichen Spannungsfelder zu erschließen, das heißt, sich der "ihrer selbst vergessenen Zeichen" (Adorno) gewärtig zu werden.

Die Lebendigkeit wird vom Betrachter erzeugt bzw. wiederentdeckt, so er in der Lage ist, die Schichten zu durchdringen, das Alltägliche zu überwinden, das Gewohnte zu übersehen.