CHRISTINE STIGMA UND GERNOT LAUBÖCK

Transkript der Eröffnungsrede von Haimo L. Handl (der Vernissage Juni 2002)

...stellen heute ein Kontrastgramm, also ein Programm der Kontraste, aus. Das ist natürlich relativ, denn das Werk der Künstlerin und des Künstlers ist in sich zwar auch kontrastierend aber nicht so unterschiedlich, wie sie gegeneinander verglichen sind. Ich will eher auf die Arbeiten der Künstlerin und des Künstlers als solche eingehen und weniger auf den Kontrast, den sie selbst im Durchgang der Ausstellung entdecken werden.

Christine Stigma: ihre Bilder - farbenfroh, bunt, lebendig, voller Energie - haben zugleich etwas, das manche an Etiketten erinnert, beziehungsweise sie dazu führt, sich solcher als hilfreiche Erklärvariante zu bedienen. "Arte Povera", "Arte Prude", Kunst von Geisteskranken oder schlussendlich Kunst von Kindern. Was verbindet sich damit - ein gemeinsames Merkmal: Ursprünglichkeit und ureigenste Authentizität. Und zwar jene, die aber als eigene Qualität vor der Schulung der Formgebung des Gestaltens nach Konventionen, nach einem Kanon, nach Regeln sehen. Das wäre aber zu einfach. Ein Trugschluss. Denn ohne Form kein Kunstwerk. Ohne Beherrschung der Technik kein Ausdruck in der Formensprache.

Es ist also mehr als nur Ursprüngliches oder der Anklang Ursprünglichens, es ist Gestaltung, wenn auch die Form, die Darstellung uns an Arbeiten, wie vorher erwähnt, von Kindern oder solchen erinnert, die sich scheinbar vordergründig keiner strengen Regeln bedienten oder sich ihnen, und hier sagt ja schon das Wort die Negativ-Konvertation, unterwarfen. Aber das befolgen von Regeln ist nicht einfach eine Unterwerfung, sie ist die Grundvoraussetzung für eine intelligible Kommunikation. Wie in der Sprache. Würden wir nicht Grammatik kennen und ihre Regeln beachten, wären sinnvolle Sätze nicht kommunizierbar.

Im künstlerischen Bereich ist der Freiheitsgrad des Einsatzes der Kommunikationsmittel natürlich viel weiter aber dennoch unterliegt das kreative Arbeiten das Schaffen, das Kreieren, das Erzeigen, originieren, Regeln. Wenn auch die Arbeit selbst nicht vergleichbar ist mit einer rationalen Produktionsarbeit. Während in einer Kommunikation, die primär der Verständigung, das heisst der Übermittlung eindeutig identifizierbarer oder verstehbarer Botschaften dient, die Regelbeachtung überhaupt eine Voraussetzung darstellt und höchst wichtig ist, haben wir im künstlerischen Prozess nicht die Bedingung einer Informationsvermittlung. Überhaupt unterscheiden wir einmal das Kreieren als künstlerischen Prozess für die Künstlerin oder den Künstler mit einem Wert und einer Bedeutung bevor dieses Werk, dieser Artefakt überhaupt von anderen kommuniziert wird. Zweitens haben wir die Situation des Betrachters, des Käufers, des Lesers, des Zuschauers, der mit dem Artefakt sich konfrontiert, falls er ihn überhaupt wahrnimmt und auf irgendeine Weise versucht, zu deuten, zu decodieren, dechiffrieren, zu lesen.

Das heisst, Sinn zu geben. Und da gibt es jetzt natürlich Werke, die vordergründig leicht entzifferbar sind, deren Bedeutung oder Botschaft, ähnlich wie bei einer Narration einer Geschichte, in der Geschichte unverstehbaren Handlungsablauf, das heisst hier in der möglichst visuell verstehbaren, einsehbaren Darstellung liegt. Komplizierter wird es, wenn es um Abstraktes geht beziehungsweise um visuelle Codes, die nicht sofort so eindeutig zuordenbar sind.

Das Problem ist ein zweifaches. Einerseits führt es manche dazu zu fragen beziehungsweise erst gar nicht zu fragen sondern abzulehnen, "was soll denn das", "was heisst denn das", "ich kann das nicht verstehen" und so fort. Fast eine automatische Verteidigung und Abwehrhaltung macht sich stark, weil der Betrachter etwas sieht, das er nicht versteht. Ähnlich, wie wenn sie eine Fremdsprache hören oder lesen, von der sie zwar wissen, es muss sich höchstwahrscheinlich um eine Sprache handeln, da sie sie aber nicht können, fühlen sie sich nicht bemüssigt, sich näher damit zu befassen.

In der Darstellenden Kunst, in der Malerei nehmen sie jetzt zwar an, dass es nicht um Dokumente mit Aussagen oder Informationsgehalten sich dreht aber, wenn es nicht sofort den Sinnzusammenhang für sie oder für den Betrachter erschliesst, fühlt man sich oft leicht geneigt, sich abzuwenden, sich nicht einzulassen, weil es ja nicht dafür stehe, nicht sinnvoll sei.

Der zweite Aspekt ist genau umgekehrt: weil das Bild so klar scheint - klar jetzt im Sinne der visuellen Verstehbarkeit - ich sehe die Darstellung, ich erkenne sie, sie erinnert mich an..., ich vergleiche, eine gewisse Redundanz stellt sich ein, das habe ich schon so oft gesehen - dann fokussieren sie vielleicht auf die Art der Darstellung, das heisst, den Mitteleinsatz, den die Künstlerin oder der Künstler gewählt hat, um das Dargestellte, das ihnen ja konkret, das heisst im Bezug zu den Realitäten erscheint, zu sehen. Und sie vergleichen. Und hier kann, je nachdem, wie bekannt es ihnen scheint, beziehungsweise, wie vom Stil her oder von der Gestaltung her zuordenbar es scheint, es für sie interessant oder uninteressant werden. Und wir haben die gleiche Reaktion der Abwendung oder der Nichtbeachtung aus einem ganz anderen Grund. Eben weil es so leicht ist, so leicht scheint, geben sie sich nicht ab. In beiden Fällen würde dann der Artefakt praktisch nicht weiter wahrgenommen und gedeutet werden.

Die Herausforderung an den Betrachter besteht also darin, einerseits vor Unbekanntem nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen und zu sagen, "das ist nichts für mich weil...", beziehungsweise "ich fange damit nichts an, weil..." und umgekehrt "ah, das kenn ich schon" oder "oh, ist das niedlich" oder "wieder diese Arte Prude oder diese Kinderzeichnungen oder diese Sachen, die habe ich doch schon in Gugging gesehen bei dieser Ausstellung und bei jener, sondern sich einzulkassen, zu entdecken. Das ist ja nicht eine Wiederholung. Das ist kein Klischee . Das ist originäre Arbeit. Wenn es nicht schon sofort funkt im Erkennen, was sagt es mir, denn Bilder sprechen, so wäre vielleicht der zweite Blick die Chance, das Bild sagen zu lassen, was es sagen könnte, durch die kleine Haltung was kann es mir sagen.

Das heisst, durch den Einschub einer Verzögerungssekunde, durch den Unterbruch oder den Abbruch von automatischen Reflexen. Dann werden sie vielleicht entdecken, dass hinter dem Ganzen, das so niedlich kindlich sich gibt, das so comic-haft dekorativ aussieht, ein System liegt. Und das es nicht nur vordergründige Geschichten sind, sondern dass die Gestalten, je nach ihrem Wissen, nach ihrer Fähigkeit zu verbinden, das heisst, ein assoziatives Netzwerk wachzurufen, sie, die Zeichnung, das Bild praktisch beleben und vielleicht sogar wiederbeleben, wie ja der Wahrnehmungsvorgang besonders im künstlerischen eine aktive kreative Leistung des Betrachters ist. Und wenn sie die leisten, dann sehen sie nicht nur eigenartige Figuren, Turmmenschen oder Tier mit überlangen Beinen oder bestimmte Symbole und machen daran zeitgebundene Deutungen fest, sondern sie sehen plötzlich unmöglich Welten, die möglich werden, ein Umschlagen verschiedener Realitätsebenen, in eine kaleidoskopartige Komplexität, die ihnen sehr wohl, zwar nicht die eindeutige Geschichte oder nur die eindeutige Geschichte liefern, sondern Facetten, Aspekte von X-X-Möglichkeiten. Und hier haben wir einen wesentlichen Aspekt.

Die Möglichkeit. Was ist denn künstlerisches Schaffen. Auch oder in dem Masse , wie es auch Sinnstiftung für die Künstlerin oder den Künstler ist oder Therapie sogar oder Auftragserfüllung, wobei der Warencharakter und die Erfüllung der Auftragsbedingungen natürlich einwirkt. Dennoch - immer ist es natürlich eine Kreation, die zur unendlichen Zahl von Möglichkeiten eine realisierte in die Welt setzt. So gesehen ist ja das künstlerische Schaffen eine Konkretisierung einer Welt. Eine Schöpfung. Und wenn diese Schöpfung, diese Kreation so freudig, lustig, lebendig, energiegeladen, fantastisch - das Wort Fantasie, Fantasma hat sehr interessante Konjugationsbereiche - also wenn dieser fantastisch ihnen gegenübertritt, dann können sie auf eine Reise gehen. In ihrem Kopf, in ihrem Denken und, weil es ja nicht nur ein rationaler Prozess ist, in ihrem Fühlen. Es sprechen dann Linien und Formen aber auch Farben. Und es spielt keine Rolle, ob sie sich sicher wähnen, Symbole korrekt zu deuten, denn sie sind jenseits der Rigidität der Symboldeutung. A ist nicht nur A, B nicht nur B, Zeichen nicht nur nicht fixiert. Sie schöpfen aus einer Freiheit und dadurch gewinnt das künstlerische Werk und sie in ihrer Wahrnehmung.

Es bedarf einiger Leistung, um Gelerntes soweit zu vergessen, dass das freie Kreieren nicht gestört wird. Es ist ein Paradoxon. Einerseits muss natürlich das Materlial, die Formensprache, das Werkzeug, gekannt, erlernt, ja die Techniken internalisiert werden, andererseits muss die Künstlerin oder der Künstler soweit kommen, um fast all das wissend hinter sich zu lassen, sodass fast nur noch unbewusst, eben weil internalisiert die Persönlichkeit in einem Gesamten von Wissen und Können und Ahnen und Fühlen und Wollen sich ausdrücken kann. So scheint mir, dass Christine Stigma nach ihrer akademischen Ausbildung, nach ihren gelernten verschiedenen Stufen, die sie erreicht hat in kreativen, künstlerischen Arbeiten, hingefunden hat, vergessen zu können, als positive Voraussetzung genuiner, authentischer Kreation.

Kommen wir jetzt zu Gernot Lauböck. Gernot Lauböck ist Grafiker, Gernot Lauböck ist Maler. Zwei völlig verschiedene Tätigkeitsbereiche. Während er als Grafiker weniger seine persönliche Kreation als das Ziel der Arbeit sehen kann, da er Aufträge nach anderen Kriterien erfüllen muss will er am Markt bestehen und im Geschäft bleiben, darf er sich als Künstler, als Maler erlauben, erstens nicht inhaltsfixiert und -bezogen zu operieren und zweitens seinen Wünschen, Bedürfnissen, Neigungen, seinem Wollen, seinem Gestaltungsdrang nachzugeben.

Was wir sehen sind einerseits Akte in Monotypie, in Zeichnung, Tusche und aquarelliert und in Öl. Ganz selten merkt man den Hintergrund des Grafikers in der Strichführung, in der Formgestaltung. Aber meist gelingt es ihm, eine eigenständige malerische Sprache zu finden, indem er ein ganz altes Sujet, die Aktmalerei oder -zeichnung nimmt und sich darin ausdrückt. Es geht nicht um Porträts, es geht nicht um Abbildung im üblichen Sinn, wie überhaupt die Malerei ja nicht dazu da ist, einfach abzubilden, dafür haben wir Maschinen, Apparate, die das viel besser können. Es geht um Gestaltung und Gernot Lauböck versucht in einem Zusammenspiel der Technik, Monotypie eben, oder Tusche-Aquarell oder Öl, diese Neigungen, dieses Wollen im Bereich der Akte, wo also das erotische Moment etwas stärker einwirkt, umzusetzen.

Was auffällt ist ebenfalls eine Lebendigkeit, eine pralle positive Formenfülle, die auch dort, wo sie sparsam eingesetzt wird, die Energie verrät. Eros, das Lebensprinzip triumphiert auch bei ihm und es lädt den betrachter ein, einzusteigen, auf die Gedankenreise zu gehen. Und wiederum geht es nicht darum, einfach zu vergleichen, das kenn ich schon, es gibt nichts Neues unter der Sonne, die Frage ist, wie schafft es der Künstler sich gestaltend auszudrücken. Was kreiert er, was setzt er in die Welt. Gernot Lauböck setzt, bei diesen Aktbildern zum Beispiel, Wesen in die Welt, die einerseits Idealbilder darstellen mögen, andererseits Ahnungen, ein Wollen, ein Sehnen, ein Drängen, Erfüllung nicht jetzt der Erotik sondern der Ästhetik darstellen. Über die Ästhetik die Körperformen, die Dynamik der Bewegung, der Ansatz, das Gespanntsein, das Sich-Entspannen, das Dasein in einem wohligen Sich-Dafühlen, heimisch fühlen, das drückt er aus. Gerade bei den stehenden Akten in der Monotypie sieht man, wie er es vermag, diese gebannte Stärke im Stand oder diese Bewegung auszudrücken und uns zu vermitteln.

Die Herauaforderung die er sich stellt, ist also weniger eine neue Sicht der Akte zu liefern, wie wäre die denn möglich, dann wären sie kein Akte mehr, sie müssen also näher in der Konkretisierung zum Vorbild, zum Wunschbild sein, als abstrakte Flächen- und Formengestaltungen, bei denen der Künstler als auch der Betrachter ganz andere Freiheitsmomente der Deutung hat. Das ist klar. Aber es ist natürlich sein Werk, wie er es schafft, wovon wir dann deuten können, wie er es sieht und sehen will. Nachdem kein Vergleich zur Realität nötig ist, geht es nur darum, was springt über, welcher Funke zündet, dass wir sagen "das gefällt mir, weil"..., "das spricht mich an, weil...", "das erinnert mich", "das schafft mir" - und das ist jetzt ein Punkt - "Freude". Ein ganz wesentlicher Aspekt der Kunst ist einfach Freude oder Ergötzen.

Früher war das bei Kunsthistorikern und Kunsttheoretikern und Kunstphilosophen oder solchen, die sich verantwortlich Gedanken über die künstlerischen Schaffensprozesse machten, nicht unüblich, beziehungsweise hoch in Betrachtung das Ergötzen, die Freude als Urgrund zu sehen. Als ich letzthin wieder Etien Jilson las, ein ganz ausgezeichneter französischer Philsosoph, der unter anderem eben auch zu Kunst schrieb, war ich ganz überrascht, wie oft er das nicht nur von den älteren Künstlern, Delacroix und andere, betonte, sondern auch von neueren, seinen zeitgenossen, aus den 30-er, 40er und 50er Jahren. Also bis hin zu dem Krösus Picasso. Heute scheint das vorüber. Es herrscht eine Scheu vor Schönem, man vertraut ihm nicht, es gilt irgendwie nicht authentisch und die Freude selbst ist in Verruf geraten. So scheint es zumindest. und dennoch, gerade hier, ich wills insistieren, gerade hier hakt ein Künstler wie Gernot Lauböck ein. Das Berufliche in der Grafik, die Botschaften, die kann er doch alle abdecken. Im Bereich der Kunst öffnete er sich das Fenster in die Freiheit seines Ausdrucks, seines Gestaltens dieser Freude. Und die Erotik, beziehungsweise die mit der Erotik verbundene Ästhetik ist wahrlich eine der höchsten Freuden. Und deshalb nimmt sie auch - vermute ich - so einen prominenten Platz in seinem Schaffen ein.

Sehr geehrte Damen und Herren, Kontrastgramm. Sie sehen eine Auseinandersetzung in der Gestaltung aus verschiedenen Bereichen herkommend und in zuerst zu verschiedene Ziele hinführend. Bei näheren Betrachtungen geht es aber beiden, Künstlerin und Künstler um Gleiches oder Ähnliches was den Schöpfungsakt, die Kreation betrifft. Authentizität, Ergötzen und Freude und Gestalten. Was darüber hinaus als Quasibotschaft an den oder die Betrachter herankommt mag willkommen sein, ist aber nicht der Angelpunkt der Bewertung. In diesem Sinne nehmen Sie sich bitte die Freiheit, sich zu freuen, sich zu ergötzen. Wenn das in Ansätzen zumindest erreicht wird, haben alle gewonnen. Die Künstlerin Christine Stigma, Der Künstler Gerhard Lauböck und Sie, die Betrachter. Sie schliessen den Kreis. Danke.