KUNSTUNDKUNST

Die Kunst und die Künstle und die Künstlerinnen und Künstler und der Markt und das Geschäft und die Karriere und die Debatten

Haimo L. Handl, 27.07.2005

Wir leben in einer Wissensgesellschaft, obwohl immer mehr etwas wissen, ohne sagen zu können, was es ist, das sie wissen, geschweige erklären zu können, was die Kriterien ihres Wissens sind. Wissen hat sich aufgesplittert, ähnlich wie Filosofie: Wir begrüssen intelligente Produkte, Philosophien von Waschmitteln oder dot.coms, Orientierungswissen, Handlungswissen und dergleichen. Wissen "um" und "als ob". In allen Varianten. Wissen wird managed (gemänätschedt).

Wir gebrauchen mit hoher Selbstverständlichkeit Apparaturen, von denen wir nichts wissen: wie sie gebaut sind, wie sie funktionieren usw. Wir essen Speisen, deren Inhalte wir nicht kennen, ganz zu schweigen von Auswirkungen. Wir kämen nicht mehr zurande, wollten wir von allem was wissen. Wenn wir "wissen" als "versehen" begreifen. Wissen ist leicht lästig, deshalb wird es marktkonform organisiert. Wissen ist störend, deshalb schätzen wir das Glück des Naiven, Nichtwissenden. Aber da Nichtwissen eine Untugend ist, nennen wir das neue Nichtwissen Wissen. Aber korrektes.

In der Kunst oder den Künsten ist es ähnlich, ja noch drastischer. In der pluralistisch, offenen, entwickelten Gesellschaft gibt es, entsprechend dem herrschenden Pluralismus, keine fixen Normen, Codices oder verbindliche Schulen, die eindeutig bestimmen, was Kunst ist und was nicht. Es gibt keine allgemein anerkannten Kriterien dazu. Kunst ist, was als solche bezeichnet wird. Die grosse, fortschrittliche Freiheit drückt sich darin aus, dass alles Kunst sein kann und alles zur Kunst wird, was so benannt wird. Wie in einem magischen Akt. Aber die alte neue Freiheit stört, wenn sie "ernst" genommen wird, also beim Wort genommen, dem eigentlichen Wortsinn nach praktiziert: ein heilloses Durcheinander, eine extreme Relativierung, eine Unverbindlichkeit. Geübte Filosofen sprachen von der Unübersichtlichkeit. Mit der kommt aber auch die pluralistische Gesellschaft nicht gut zurande. Das heisst, sie käme sehr wohl zurande, aber der wichtigste Teil der pluralistischen Gesellschaft, die Ökonomie, der Markt, braucht Übersicht, Strukturen, Werte. Also braucht es Exegeten, Experten. Hohepriester. Kritiker. Erklärer und Benenner. Richter. Und Kunden, die sich danach richten. Und kaufen. Anlegen. Werte steigern. Also, den Warenverkehr pflegen, der unser aller Freiheit garantiert.

Das Volk, die Masse, der Pöbel mag noch so oft und stark die vermeintliche Freiheit zur Kunstdeklaration nutzen, es gilt nicht. Es wird nicht zur Kenntnis genommen. Dann wäre ja jeder Künstler, wie manche unvorsichtig opportun geäussert haben, ähnlich dem schwatzigen Beys, der die Gleichung von Kunst=Leben nimmermüde wiederholte und dabei seine gute Figur machte.

Es würde die Experten brotlos machen und den Markt aufweichen. Um die Kunden zu "betreuen" und ihnen für ihren Warenverkehr zu helfen, gibt es neben den eigentlichen Produzenten, den Künstlerinnen und Künstlern Vermittler und Institutionen, die vermitteln, speichern, aufbewahren, deuten, interpretieren, erklären und verdammen oder zurückweisen bzw. einfach ignorieren. Damit hat der Markt seine Ordnung und die Kunst ihre Werte, die den wesentlich Beteiligten nützlich ist.

Die Naiven, die anders denken und handeln, fallen nicht ins Gewicht. Die dürfen in kleinen Zirkeln sich äussern, werden als Hobbyisten abgetan. Die wichtige, grosse Kunst ist das wichtige, grosse Geschäft. Eine klare Sache für Geschäftsleute und Kunden. Für vernünftige Marktteilnehmer.

Manchmal tauchen aber auch in den etablierten Medien störende Fragen auf. Oder ein Künstler erinnert sich früher eigener Gedanken, die anders waren. Oder ein Kritiker lässt sein Temperament durchgehen und äussert unvorsichtig etwas Inopportunes, weil Nichtangepasstes, Nichtapprobiertes. Dann gibt es Stoff. Das ist aber weiter dennoch nicht störend, weil es den Apparat beschäftigt und den Kunden zeigt, wie offen, pluralistisch (manche zeigen ihre Blödheit und reden von "demokratisch"!) die Kunst und ihre "Behandlung" sei.

Das SCHWEIZER MONATSHEFT vom Juni/Juli 2005 ist dem Thema DIENSTLEISTUNG KUNST gewidmet (http://www.schweizermonatshefte.ch/)

"Dienstleistung Kunst". - Eine fragwürdige Wortkombination. Dienst, Leistung, und dann noch Kunst? Dient die Kunst, wenn sie etwas leistet? Leistet sie noch etwas, wenn sie dient? Kann im Zusammenhang mit Kunst überhaupt von einer "Dienstleistung" gesprochen werden, ohne die Kunst zu kompromittieren? Was haben Dienst und Leistung dort verloren, wo Kreativität und Phantasie, Freiheit und Autonomie alleine herrschen sollten? Und wenn schon: Dienst für wen? (Newsletter der SMH)

Die NEUE RUNDSCHAU (Fischer Verlag) widmet in ihrem Heft 1/2005 einigen Platz dem Thema STATT KUNST und bringt interessante Beiträge von Wolfgang Ullrich (Vom Verhängnis autonomer Kunst), Christian Demand (Warum ist "Kunst" ein Singular?) und Wolfgang Zinggl (Was Kunst wird).

Liest man die Beiträge, wundert man sich, dass die Akademien nicht längst geschlossen sind, der ganze Pseudozirkus abgetragen wird und Kunst endlich zur banalen Geschäftsform findet, die keiner staatlichen Sonderförderung irgendwelcher Art bedarf.

Man wundert sich auch über die vielen Experten und Expertisen. Irgendwas stimmt da nicht. Es passt einfach nicht zusammen. Die Widersprüche sind deutlich. Man muss schon ein Junky oder Säufer werden - oder Kollaborateur - um das negieren zu können.

In der schweizerischen Kulturzeitschrift DU hat vor 15 Jahren der Chefredaktor Dieter Bachmann im Heft 5/1990 einen ganz ausgezeichneten Beitrag als Editorial zur Heftthema "Künstlerkarrieren. Wege zum Ruhm" verfasst, der immer noch aktuell lesenswert ist.

Kunst, na und?