Festspiele - Festwochen - Feste Worte
Ein Kommentar mit Zitaten

Haimo L. Handl, 29.04.1998

In Österreich laufen die Uhren anders; nicht nur Wien beweist sein Anderssein. Während in Wien Kapazitäten wie die Jazz Gitti oder Fritz Muliar als Ausstellungsführer helfen, die Wiener Ausstellung "Zaubertöne" als "Sommerschlußverkauf zu verramschen" (profil), besinnen sich die neuen Macher der Elitefestspiele in Salzburg, daß es dort nicht (nur) um Konsum gehen darf: es gilt die "wahren" Kunstwerte zu retten bzw. zu revitalisieren. Beamtete Avantgarde von oben herab als alt-neues Österreich-Phänomen. Doch die Festspielzeit offeriert noch mehr. Zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele sprachen UHBP Waldheim und BM Scholten. Waldheim plädierte für Offenheit, Scholten gar forderte die Mahnung ein. Von beiden soll angenommen werden, daß sie wußten, wovon sie sprachen:

"Die Erkenntnis nämlich, daß der Geist der Offenheit und der Europäisierung nicht im Widerspruch steht zur Pflege regionaler Nachbarschaft und zur liebevollen Bewahrung der kultureigenen Identität." (UHBPM; zitiert nach dem KURIER 24.7.91) Salzburg als europäisches Erlebnis-Begegnungsdorf regionaler Nachbarschaftspflege! "Scholten hielt daraufhin ein "Plädoyer für mehr Kunst in der Gesellschaft und für eine bedeutendere Rolle der Künstler". Er meinte sogar, daß wir "die mahnenden Künstler (benötigen), die uns die Enge unseres Gesichtsfeldes sprengen". Der KURIER faßt wertend zusammen: "Scholten beinahe kämpferisch: 'Kunst muß erregen, aufwühlen, anstoßen, umstoßen, um zu verändern.'"
Womit der Bundesminister beweist, daß Politik und Kämpfertum "beinahe" möglich ist in Österreich, zumindest im Kulturbereich. Doch hat der Minister auch recht mit seinen Forderungen? Oder schwelgt er, realitätsfremd, in den einsamen Höhen der Hochkultur?

Der "politische Künstler" und "Agitator" Hrdlicka wurde und wird gerade wegen seiner streitbaren Mahnungen angegriffen; uns allen ist die Mahnmal-Affaire nur zu ungut in Erinnerung. Wieviel realistischer doch ein Presse-Kritiker die Essenz solcher "kritischer" Kunst sieht:

"Aber er (Hrdlicka) tut es künstlerisch mit eben jenen Mitteln, die allen Systemen eigen waren, denen daran gelegen sein mußte, sich auch durch Denkmäler abzusichern. (...) Auch mit seinen anders gemeinten Inhalten und nach dem Verlust des Gefühls für das mehr oder weniger glücklich 'Inszenierte' (insofern ein anti-Denkmal) mahnt Hrdlickas 'Mahnmal' vor allem daran, daß es zwar viel einzumahnen gibt, aber daß es so nicht mehr geht. (...) Hrdlicka also agiert nicht viel anders als die von ihm gehaßten ' Faschisten'." (Kr. Sotriffer, DIE PPRESSE 22.6.91)

Wie leicht wird also die Mahnung als faschistoid oder gar faschistisch gesehen... Da ist halt nichts mehr von regionaler Kulturpflege zu spüren, dem Künstler geht eben das rechte Gefühl ab. Hier dürfte auch ein Scholten nicht mehr helfen können.

Im alpinen Innsbruck half auch die Hochluft nicht der Hochkultur und der Volksgeist zeigte sich nicht eingedenkend der noblen Reden im fernen Salzburg (voralpin) oder Wien (österreichische Andersheit): da wurde eine Skulptur entfernt und versetzt, so, wie man einen Stachel, der reizt, ausreißt. Der Schweizer Künstler Frentzel (wer heißt schon so?) hat vielleicht zuviel zugemutet, obwohl doch die "Kritik" und "Mahnung" bzw. Weitung des Gesichtsfeldes, welches unser oberster Kulturboss einforderte, ziemlich abstrakt. Aber die Verletzung liebgewonnener regionaler Seh- und Denkgewohnheiten wird nicht allerorts als Kulturleistung gesehen. Die Innsbrucker haben vielleicht die Eröffnungsrede UHBP nicht gehört oder zu Herzen und Hirn genommen. Sie bewiesen andrerseits Eigenständigkeit in einem Ausmaß, daß der Zürcher TAGESANZEIGER besorgt fragte: "Heisst Kunst machen (wieder) gefährlich leben?" Unter Bezugnahme auf den Künstler heißt es weiter:

"Gunter Frentzel sieht das Motiv für den behördlichen Vandalenakt im politischen Klima: die Proteste des Publikums haben sich seiner Auffassung nach in Grenzen gehalten. Aber die - rechtslastige - SPÖ, die in Innsbruck regiert, habe jeden kleinsten Vorwand wahrgenommen, da sie gegenüber dem Projekt des Kulturzentrums 'Utopia' mit moderner Kunst von vornherein eine ablehnende Haltung eingenommen habe. Anscheinend sei es, so Frentzel, dort, wo die SPÖ das Sagen habe, wie in Nazi-Zeiten wieder gefährlich, Gegenwartskunst öffentlich zu zeigen." (TAGESANZEIGER Zürich 27.7.91)

Frentzel versteht Österreich nicht, sonst hätte er seine Feststellung nicht nur auf die SPÖ gemünzt! Für uns ist interessant, wie von anderer Ecke her der Faschismusvorwurf eingebracht wird; was in beiden Fällen nicht heißt, er sei fundiert oder berechtigt.

Man muß kein Kunsthistoriker sein, um eine Nase dafür zu haben, was geht, was gefällt. Es genügt, das richtige Medium zu lesen:

"Welche Kunstwerke gefallen, hängt auch von jenen ab, die mißfallen. Umso zahlreicher die schlechten sind, desto eher werden die durchschnittlichen mit den außergewöhnlichen verwechselt und solche, an denen man normalerweise bloß achselzuckend vorübergeht, mit Bewunderung aufgenommen, nur weil nichts Besseres in Sicht ist." (R. Ubl, DIE PRESSE, 8.8.91)

Es bleibt die Streitfrage unbeantwortet, ob wir nun zuviel oder zuwenig Schlechtes haben...

In Graz baut man, ähnlich wie in Salzburg zur Festspieleröffnungszeit, auf Utopie: "Peter Schachner-Blazizek, Landeshauptmann-Stellvertreter der Steiermark, wartet im Kulturbereich mit kühnen Projekten und radikalen sozialpolitischen Denkansätzen auf." (DER STANDARD, 7.8.91)

Was anderen verpönt und verachtenswert, weil weltfremd, ist, wird für den Stellvertreter zur Maxime: Luftschlösser sind unverzichtbar und das Nach-der-Decke-strecken im kulturellen Bereich gefährlich. (DER STANDARD, 7.8.91) Das Novum bei Schachner-Blazizek ist, daß er es nicht bei den abstrakten Begriffen und Forderungen nach ewigen, mythischen Werten und Wahrheiten beläßt, sondern auch praktisch zu werden versucht, politisch sogar ohne Vorsilbe! Nochmals der STANDARD in seiner eindrücklichen Berichtskommentierung:

"Ersparnis erscheint ihm weder dabei noch überhaupt als das Ziel der Kulturpolitik. Zählen für ihn doch Kunst und Kultur so wie Umwelt, Sicherheit und Gesundheit zu den 'öffentlichen Gütern', bei deren Pflege und Erhaltung sich der Staat nicht durch Privatisierung aus der Verantwortung stehlen darf. Im Gegenteil, 'hier brauchen wir mehr Staat'. Als besonders bedenklich bezeichnet Schachner-Blazizekt die kulturpolitische Tendenz, den Kunstbetrieb immer mehr den Gesetzen des Kunstmarktes zu überlassen. Im Kunstmarkt nämlich erkennt Schachner nur ein schmales, nach den herkömmlichen Gesetzen von Angebot und Nachfrage funktionierendes System. Ein von wenigen gesteuertes 'Oligopol', dem er wohl eine gewisse - jedoch keineswegs die ausschließliche und unfehlbare - Funktion als Qualitätsindikator zuspricht.
Nicht die Förderung oder Steuerung dieses in allen Disziplinen florierenden Kunstmarktes stellt sich dem Staat als Aufgabe, sondern die Erhaltung und Förderung der 'immens wichtigen Parallelkultur', die den Ansprüchen des Marktes - noch - nicht oder nie genügt und sich in dessen Gesetze nicht einpassen kann, aber gerade dadurch die geistige Identität einer Region und eines Landes zu Ende formuliert." (P. Vujica, DER STANDARD, 7.8.91)

Die Forderung klingt kühn, doch scheint er den heimischen Kunstmarkt zu überschätzen: s o regulierend wirken Angebot und Nachfrage bei uns noch nicht, wie sie markttechnisch wirken sollten oder könnten. Es scheint auch fraglich, ob der Staat hier wirklich positiv beitragen kann; was hat denn Kulturpolitik bis jetzt bei uns, regional und national, geleistet? Damit dies keine rhetorische Frage bleibt, sei, fairerweise, auf die Festspiele, ihre Eröffnungen und die unvermeidlichen Festworte hingewiesen - womit sich der Kreis schlösse.