Painted Memory - Leslie De Melos Bilder

Haimo L. Handl, 10.01.2000

Erinnert wird immer etwas was ist oder war, nie, was sein wird oder sein könnte. Im letzteren Falle handelte sich um Imagination. De Melo erinnert sich. Gemalte Erinnerung - Erinnerung im Bild, als Bild. Aber nicht einfach als Widerspiegelung oder Abbild.

Die Bilder von De Melo sind keine Porträts, keine Abbilder. Sie sind nicht realistisch, sie bilden keine bestimmten Personen ab, sie dokumentieren keine authentischen Ereignisse. Die Bilder von Leslie De Melo sind Reduktionen, Komprimierungen in Farbe und Form,oft angereichert durch einen feinen, aber sicheren Strich. Die Formen sind manchmal fast geometrisch exakt, die Farbwahl nicht willkürlich, insgesamt zeigt dieses Oeuvre einen positiven, heiteren, beschwingten Grundton in der Entsprechung der intensiven Farben, ihres Einsatzes für Figuren und Hintergründe sowie ihrem Verhältnis zur gewählten Form.

Weshalb spricht der Maler als Autor aber von Erinnerungen? Wessen erinnert er sich? Dessen, was wir sehen auf seinen Bildern?

Der mexikanische Dichter Octavio Paz schrieb über das Bild Sätze, die mir hierher zu passen scheinen, wiewohl er vornehmlich das sprachliche Bild, die Metapher meinte:

Das Bild ist Chiffre der menschlichen Natur. (...) jedes Bild nähert gegensätzliche, indifferente oder weit voneinander entfernte Wirklichkeiten einander an oder vereint sie. Das heisst, es unterwirft die Vielfalt des Wirklichen der Einheit. (Der Bogen und die Leier. Poetologischer Essay.)

Welche Erinnerung wäre authentisch und wahr? Erinnerung ist nie passiv, nie fixer, gleichbleibender, korrekter Ausdruck von Gespeichertem. Unsere Hirne sind keine Computer, sie sind viel mehr. Erinnerung ist aktiv und gestaltend. Erschaffend. In der gemalten Erinnerung verbinden sich Kreationen der eigentlichen Erinnerungsleistung mit jenen des malerischen Gestus' und Ausdrucks. Da kommt dem Künstler die Reduktion zu Hilfe: De Melos Bilderflächigkeit vereinheitlicht, reduziert, filtert, übersetzt und überträgt in seine Bild-Formensprache. Was so leicht entgegenblickt, vermag es, weil es nicht Abbildung ist, sondern Bild.

De Melo bildet nicht ab, will gar nicht "realistisch" sein. Er nutzt sein Instrumentarium und seine Formensprache, um das, was die Erinnerung behält und im Behalten verändert, wiederum verändert durch die malerische Artikulation zu zeigen. Er erzählt nicht eigentlich, er hält Eindrücke von Ausdrücken fest, die er in sich findet als Erinnerung dessen, was er aussen erfuhr, sah, gewahr. Dabei greift er auf jene sozialisierten Werte zurück, die sein "Weltbild" formen, sein Verständnis vom Zusammenwirken von Farbe und Form. Allerdings nicht strikt einem "Programm" folgend, sondern in der Selbstverständlichkeit dessen, der bestimmte Codes näher als andere kennt.

Bedarf es bestimmter Kenntnisse genuiner Kulturcodes, um De Melos Bilder adäquat interpretieren zu können? Eine heikle Frage, deren komplexe Antwort ich wie folgt versuche:

Grundsätzlich bedarf es immer bestimmter Kenntnisse, um Kommunikationsgehalte wahrnehmen und interpretieren zu können. Nicht nur im sprachlichen Bereich. Im Visuellen ist man leicht versucht anzunehmen, Bilder sprächen mehr als tausend Worte, bedürften keiner weiteren Erklärung etc. Das stimmt nur auf bestimmten Ebenen. Wenn man Geschichte, Geschichten, Kulturwerte und -konzepte nicht kennt, den Symbolschatz, das weite Zeichenreservoir bestimmter Kulturkreise sich nicht angeeignet hat, kann man die möglichen Verbindungen und Deutungen gar nicht leisten, man erahnt sie nicht einmal. Das muss nicht immer von Nachteil sein. Meist bleiben einem aber potentielle Dimensionen verschlossen. Dieses Phänomen ist allerdings überall, auch in der eigenen Kultur, zu beobachten.

Wir leben in einer sich globalisierenden Welt, in welcher die Kulturunterschiede abnehmen. Dem stehen aber ungeheure Gewinne auf individueller Seite gegenüber. Es handelt sich nicht nur um einen Verlust, sondern auch um Öffnungen neuer Dimensionen und Freiheiten.

Wenn Künstler aus uns fremden Kulturen von uns, wie üblich und gewohnt, stereotyp auf ganz bestimmte Merkmale dieser Kultur, wie sie UNS bekannt scheint, festgemacht werden, kann ich darin weder eine adäquate, geschweige eine "gerechte" oder gebildete Wahrnehmung und Kommunikation erkennen. Verständlich, dass die Überwindung dieser Festsetzung auf's Lokale, Regionale, auf's stereotype Kolorit, als gewonnene Freiheit gesehen und wertgeschätzt wird. Allerdings: um wessen Preis? Um den der Übernahme UNSERER Werte? Welcher? Als ob wir in den westlichen, amerikanischen oder europäischen Kulturen homogene Werte hätten! Also eher eine Übernahme jener Werte, die der normgebenden Schicht der "wichtigen", jedenfalls einflussreichen Kulturvertreter bekannt erscheint.

Die Wahrnehmung der Europäer ist nicht inauthentisch gegenüber einer asiatischen oder afrikanischen. Es wäre zu simpel und falsch, die eine gegen die andere auszuspielen oder für irgend eine einen Anspruch von Superiorität zu formulieren. Umgekehrt kennen wir kaum übernationale Werte, die als solche begriffen würden. Diejenigen, die annähernd als solche gesehen werden, sind immer noch mehrheitlich von Amerikanern und Europäern gespeiste Werte. Im Gegenzug wirkt die Einebnung, die allenthalben beklagt wird, natürlich auch auf uns zurück.

Der Rückzug ins vermeintlich Authentische genuin eigener Kultur kann aber auch eine Flucht sein in ein Gefilde, das einem erlaubt, unangefochtener sein Dasein zu fristen. Die Lösung liegt in der Vielfalt, in der Gleichzeitigkeit, im Vergleich und im Austausch.

Kunst als Teil der Kultur ist nicht nur Geschäft, nicht nur Warenverkehr. Kulturen sind ungleich. Trotz der fortschreitenden Vereinheitlichung durch effizientere Verwaltung und Vereinnahmung im Prozess der Globalisierung sind Unterschiede möglich. Unterschiede als Eigenheiten.

Paradoxerweise zeigen De Melos Reduktionen, obwohl anklingend an Darstellungsformen des Pop Art, jene Eigenheit, die sie nicht isolieren, aber als "eigen" definieren: sie sind nicht Dekorationen, Plakate oder Pop Art-Gebilde. Wer sich mit dem Erstblick nicht gleich zufrieden gibt, wer weiter schaut, sieht mehr. Vielleicht fragt er dann nach dem Gehalt der Erinnerungen, erkennt, dass es in De Melos "Erinnerungsbildern" nicht zufällig "dunkle" Menschen sind, meist Frauen, meist erotisch dargestellt. Eros steht für Leben und Lust. Eros ist Leben. Auch das gefilterte, reduzierte Bild davon ist eine Freude.