Die Gegenwelt
Faek Rasuls Bilderwelt
Haimo L. Handl, 31. Jänner 2006
Kunst ist nie nur Widerspiegelung oder Abbildung. Alle Versuche, sie
darauf zu reduzieren, versagten als vergewaltigende Indienststellungen.
Sie ist, wenn authentisch, Kreation. Eine Eigen- oder Gegenwelt. Auch
in ihrer Verzweiflung oder Kritik, sogar im heftigsten Widerspruch ist
und verbleibt sie positiv, voll Hoffnung. Kunst bejaht. Das Leben. Das
"andere Leben". Es gibt keine negative Kunst.
Kein Künstler beugt sich der kruden Gegebenheit, der schieren
Übermacht des Faktischen. Darin liegt das emanzipatorische und
subversive Potential von Kunst.
Artefakte zeigen Spuren ihrer Herkunft, ihres Schaffensvorgangs. Immer
wird etwas von der Gesellschaft, ihrer Zeit und ihren Werten, miterzählt.
Sogar im autonomsten, persönlichsten Werk zeigt sich das übers
Individuelle Hinausgehende. Im Unterschied zum entpersönlichten,
inauthentischen Massenprodukt, das keine Autorschaft mehr kennt, macht
die Qualität von Kunst dieses Spannungsverhältnis von Eigenem
und Gesellschaftlichen aus.
Faek Rasul, im kurdischen Karkuk aufgewachsen, schulte sich früh
in bildnerischer Kunst. In Kurdistan herrschten besondere Bedingungen.
Keine "Folklore" herrschte vor, aber auch nicht die vielfältigen
Freiheiten westlicher Kulturlandschaften. Dem weltlichen Regime entsprechend
war der Einfluss aus der Sowjetunion und DDR spürbar. Immerhin
Kultureinflüsse, die über das Regionale oder Islamische hinausgingen.
Aber als Kurde konnte man nicht so leicht eine Anstellung als Lehrer
erhalten oder sonst wie als Künstler mit Aufträgen rechnen.
Neben den politischen Problemen zeigten sich die ganz simplen, profanen
des behinderten Alltags. Der Krieg 1980 brachte Verfolgung und Gefangenschaft.
Die Flucht über den Iran nach Europa gelang schliesslich. Seit
1987 lebt der Künstler in Österreich.
Hier musste er sich als Exilant, als Fremder, als Ausländer auf
mehreren Ebenen erst eingliedern und eingewöhnen. Nicht nur das
Gesellschaftssystem war anders und fremd, sondern auch und besonders
der Kulturbereich. Er konnte sein "Kulturgepäck" nicht
einfach anschliessen: hier galten andere Werte, als er sie aus Kurdistan
kannte bzw. wie er sie von den Sowjets oder Ostdeutschen vermittelt
bekommen hatte.
Der Kulturschock war ein komplexer, der die Stabilisierung und Vertiefung
des eigenen Weges erneut erschwerte. Es galt auch einigen Verführungen,
die sich anboten, zu widerstehen: sich auf die Rolle des Asylanten,
Exilanten, exotischen Fremden einzulassen oder gar festzuschreiben.
Faeks Bilder sollten nicht nur in Kurdenveranstaltungen zu sehen sein,
er forderte, nach den Massstäben der Kunst und nicht der Ethnie,
bewertet zu werden.
Langsam gelang der Prozess der Integration, des Fuss fassens, ohne
Exote zu werden. Das "Erbe" wird jedoch nicht verleugnet.
Es bleibt aber nicht dabei. Es ist nicht der wesentliche Aspekt. Es
ist Teil neben anderen. Das macht Faeks Qualität aus: er erweiterte
nicht nur sein Oeuvre, sondern seine Bilderwelt und Darstellungsweise.
Er wuchs. Seine Bildersprache wurde komplexer. Die Rückbesinnung
auf "seine" Tradition geht über Umwege. Andererseits
zwang die Auseinandersetzung mit der neuen Lebenswelt, mit neuen Werten
im Positiven wie Negativen zu akzentuierterer Arbeit. Dies gelang Faek
Rasul.
Von den früheren, meist farbintensiven, ja bunten, abstrakten
Kreationen kam er zu Bildern wie im Zyklus "Erinnerungen",
die eher in Braun- und Ockertönen gehalten sind, mit geheimnisvollen
Zeichen versehen, die nach Kundigen fragen. Viele Zeichen scheinen auch
dem westlichen Betrachter symbolvertraut, so dass sich eine eigenartige
Spannung ergibt, die zwischen sakraler und profaner Deutung oszilliert,
als ob Zeichenzitate nicht nur aus babylonischer Zeit vorliegen, sondern
auch aus keltischer und römischer.
Die neuen Bilder sind erdig und feurig, massiv und zeigen Firmamente
und Weltteppiche, utopische Meere und Landzungen. Es ist die Imagination
der unendlichen Reise, der fremden Stätten von Atlantis und Utopia.
Es ist das Lied von Arkadien und Babylon. Es ist die lebensfreudige,
farbige, pochende Weltlichkeit einer Mischung oder Mixtur von Sichten,
die das schier Unsagbare ausdrücken: Bilder vermögen zu zeigen,
was Worte nicht fassen. Faek Rasul erweitert das Sehfeld, er zeigt,
was über das Sprachliche hinausgeht.
Seine Bilder sind nicht einfach abstrakt, andererseits nicht gegenständlich.
Er erzählt keine offensichtlichen Geschichten, er propagiert und
agitiert nicht. In der genuinen, komplexen Verwebung von Zeichen und
Symbolen mit seinen Farbwahlen entstehen Gebilde, die ihren eigenen
Reiz haben und ansprechen; für manche wird die Sprache anfänglich
fremd klingen. Ihre Melodie, ihr Rhythmus aber fängt ein und lässt
nicht los.
Die jüngsten und jüngeren Gemälde sind wie Aufsichten,
gleichen eigentümlichen Aufnahmen aus dem Weltraum, bieten sich
an wie erzählerische Karten von fernen Kontinenten und Ländern.
Landmassen scheinen sich von Meeren abzugrenzen, durchzogen von Flüssen
und Gebirgszügen. Zeichen wie von Klee bei den amerikanischen Indianern
gesehen, aber nach Afrika und Asien übertragen, im babylonischen
Licht getränkt. Es sind keine bestimmten Länder, keine bekannten
Grenzen und Stätten. Manche Bilder sind wie Verdichtungen zum Flug
mit dem Teppich. Sie sind Projektionen von Reiserouten aus und nach
Arkadien und Utopia, das sich harmonisch mischt mit Spuren von Morgen-
und Abendländischem.
Sehen ist wie jagen. Es ist Besitznahme. Es kann Vergewaltigung sein.
Aber der Künstler malt nicht (nur) "sehend" was er sieht.
Seine Darstellung geht über das hinaus, was das erspähende
Auge erblickt. Seine Sicht versöhnt die Aggressivität des
Sehens durch ein verändertes, erweitertes Sehenmachen. So breitet
Faek Rasul vor uns seine Bilderwelt aus, die eine Eigen- und Gegenwelt
ist. Der Künstler Faek Rasul sieht nicht nur, er ist nicht Jäger,
Einverleiber oder nur Betrachter. Er ist vielleicht alles in einem,
aber dazu noch mehr. Er zeigt, was er nicht äusserlich sah und
sieht, sondern innerlich, projiziert. Er wirft seine Imaginationen und
Visionen aufs Bild. Auch wenn sie sich mit alten Erinnerungen sättigen
mögen, sind seine Bilder geistig mehrdimensional. Sie sind Bilder
der Welt als Teil seines Weltbildes. Wie Bojen im schier grenzenlosen
Meer, Orientierungspunkte für jene Orientierung, die wir über
die Kunst erwarten dürfen.
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