Kurt Tucholsky
Ratschläge für einen schlechten Redner
Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen 'vor' dem Anfang!
Etwa so:
"Meine Damen und meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen
Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz..."
Hier hast du schon ziemlich alles, was einen schönen Anfang ausmacht:
eine steife Anrede; der Anfang vor dem Anfang; die Ankündigung,
dass und was du zu sprechen beabsichtigst, und das Wörtchen kurz.
So gewinnst du im Nu die Herzen und Ohren der Zuhörer.
Denn das hat der Zuhörer gern: dass er deine Rede wie ein schweres
Schulpensum aufbekommt; dass du mit dem drohst, was du sagen wirst,
sagst und schon gesagt hast. Immer schön umständlich.
Sprich nicht frei - das macht einen so unruhigen Eindruck. Am besten
ist es: du liest deine Rede ab. Das ist sicher, zuverlässig, auch
freut es jedermann, wenn der lesende Redner nach jedem viertel Satz
misstrauisch hochblickt, ob auch noch alle da sind.
Wenn du gar nicht hören kannst, was man dir so freundlich rät,
und du willst durchaus und durchum frei sprechen ... du Laie! Du lächerlicher
Cicero! Nimm dir doch ein Beispiel an unsern professionellen Rednern,
an den Reichstagsabgeordneten - hast du die schon mal frei sprechen
hören? Die schreiben sich sicherlich zu Hause auf, wann sie "Hört!
Hört" rufen ... ja, also wenn du denn frei sprechen must:
Sprich, wie du schreibst. Und ich weiss, wie du schreibst.
Sprich mit langen, langen Sätzen - solchen, bei denen du, der du
dich zu Hause, wo du ja die Ruhe, deren du so sehr benötigst, deiner
Kinder ungeachtet, hast, vorbereitest, genau weisst, wie das Ende ist,
die Nebensätze schön ineinander geschachtelt, so dass der
Hörer, ungeduldig auf seinem Sitz hin und her träumend, sich
in einem Kolleg wähnend, in dem er früher so gern geschlummert
hat, auf das Ende solcher Periode wartet ... nun, ich habe dir eben
ein Beispiel gegegeben. So musst du sprechen.
Fang immer bei den alten Römern an und gib stets, wovon du auch
sprichst, die geschichtlichen Hintergründe der Sache. Das ist nicht
nur deutsch - das tun alle Brillenmenschen. Ich habe einmal an der Sorbonne
einen chinesischen Studenten sprechen hören, der sprach glatt und
gut französisch, aber er begann zu allgemeiner Freude so:
"Lassen Sie mich in aller Kürze die Entwicklungsgeschichte
meiner chinesischen Heimat seit dem Jahre 2000 vor Christi Geburt..."
Er blickte ganz erstaunt auf, weil die Leute so lachten.
So musst du das auch machen. Du hast ganz recht: man versteht es ja
sonst nicht, wer kann denn das alles verstehen, ohne die geschichtlichen
Hintergründe ... sehr richtig! Die Leute sind doch nicht in deinen
Vortrag gekommen, um lebendiges Leben zu hören, sondern das, was
sie auch in Büchern nachschlagen können ... sehr richtig!
Immer gib ihm Historie, immer gib ihm.
Kümmere dich nicht darum, ob die Wellen, die von dir ins Publikum
laufen, auch zurückkommen - das sind Kinkerlitzchen. Sprich unbekümmert
um die Wirkung, um die Leute, um die Luft im Saale; immer sprich, mein
Guter. Gott wird es dir lohnen.
Du musst alles in Nebensätze legen. Sag nie: "Die Steuern
sind zu hoch." Das ist zu einfach. Sag: "Ich möchte zu
dem, was ich soeben gesagt habe, noch kurz bemerken, dass mir die Steuern
bei weitem..." So heisst das.
Trink den Leuten ab und zu ein Glas Wasser vor - man sieht das gern.
Wenn du einen Witz machst, lach vorher, damit man weiss, wo die Pointe
ist.
Eine Rede ist, wie könnte es anders sein, ein Monolog. Weil doch
nur einer spricht. Du brauchst auch nach vierzehn Jahren öffentlicher
Rednerei noch nicht zu wissen, dass eine Rede nicht nur ein Dialog,
sondern ein Orchesterstück ist: eine stumme Masse spricht nämlich
ununterbrochen mit. Und das musst du hören. Nein, das brauchst
du nicht zu hören. Sprich nur, lies nur, donnere nur, geschichtele
nur.
Zu dem, was ich soeben über die Technik der Rede gesagt habe, möchte
ich noch kurz bemerken, dass viel Statistik eine Rede immer sehr hebt.
Das beruhigt ungemein, und da jeder imstande ist, zehn verschiedene
Zahlen mühelos zu behalten, so macht das viel Spass.
Kündige den Schluss deiner Rede lange vorher an, damit die Hörer
vor Freude nicht einen Schlaganfall bekommen. Paul Lindau hat einmal
einen dieser gefürchteten Hochzeitstoaste so angefangen: "Ich
komme zum Schluss." Kündige den Schluss an, und dann beginne
deine Rede von vorn und rede noch eine halbe Stunde. Dies kann man mehrere
Male wiederholen.
Du musst dir nicht nur eine Disposition machen, du musst sie den Leuten
auch vortragen - das würzt die Rede.
Sprich nie unter anderthalb Stunden, sonst lohnt es sich gar nicht erst
anzufangen.
Wenn einer spricht, müssen die andern zuhören - das ist deine
Gelegenheit! Missbrauche sie.
Ratschläge für einen guten Redner
Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze.
Klare Disposition im Kopf - möglichst wenig auf dem Papier.
Tatsachen, oder Appell an das Gefühl. Schleuder oder Harfe. Ein
Redner sei kein Lexikon. Das haben die Leute zu Hause.
Der Ton einer einzelnen Sprechstimme ermüdet; sprich nie länger
als vierzig Minuten.
Suche keine Effekte zu erzielen, die nicht in deinem Wesen liegen. Ein
Podium ist eine unbarmherzige Sache - das steht der Mensch nackter als
im Sonnenbad.
Merk Otto Brahms Spruch: Wat jestrichen is, kann nich durchfalln.
(1930)
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