Immanuel KantBeredtheit und Wohlredenheit (zusammen Rhetorik) gehören zur schönen
Kunst; aber Rednerkunst (ars oratoria) ist, als Kunst, sich der Schwächen
der Menschen zu seinen Absichten zu bedienen (diese mögen immer
so gut gemeint, oder auch wirklich gut sein, als sie wollen), gar keiner
Achtung würdig. Auch erhob sie sich nur, sowohl in Athen als in
Rom, zur höchsten Stufe zu einer Zeit, da der Staat seinem Verderben
zueilte und wahre patriotische Denkungsart erloschen war. Wer, bei klarer
Einsicht in Sachen, die Sprache nach deren Reichtum und Reinigkeit in
seiner Gewalt hat, und, bei einer fruchtbaren zur Darstellung seiner
Ideen tüchtigen Einbildungskraft, lebhaften Herzensanteil am wahren
Guten nimmt, ist der vir bonus dicendi peritus, der Redner ohne Kunst,
aber voll Nachdruck, wie ihn Cicero haben will, ohne doch diesem Ideal
selbst immer treu geblieben zu sein. |